Arthur Manukyan: Auf der Flucht vor der Wahrheit: Deutschland und der VթƒԹԳlkermord an den Armeniern

Verfolgt man den neuesten Umgang der bundesdeutschen Politik mit dem VթƒԹԳlkermord an den Armeniern, so wird unschwer erkennbar, wie sich die deutschen Spitzenpolitiker und auch der deutsche Gesetzgeber aus der Verantwortung stehlen. Die Methoden der Verschiebung der deutschen Verantwortlichkeit fթƒԹԶr den VթƒԹԳlkermord an den Armeniern in der Osmanischen TթƒԹԶrkei werden immer subtiler, die Argumentationswege der deutschen Politik anhaltend kasuistischer.

 

Hat es den Altkanzler Gerhard SchrթƒԹԳder unlթƒԹ)ngst im Zeichen seiner unrթƒԹԶhmlichen MթƒԹ)nnerfreundschaft und irrwitzer BթƒԹԶndnismacherei mit dem tթƒԹԶrkischen MinisterprթƒԹ)sidenten Erdogan auf die Seite der Genozidleugner verschlagen, geht die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel andere Wege. Merkel vertritt neuerdings den aberwitzigen Standpunkt, der VթƒԹԳlkermord an den Armeniern stelle eine Angelegenheit der TթƒԹԶrkei und der Republik Armenien dar. Damit erթƒԹԶbrige sich թ§Չ‚-Չ€œ so die Logik dieser Behauptung թ§Չ‚-Չ€œ das Aktivwerden des deutschen Gesetzgebers im Blick auf die konsequente Verurteilung und Bestrafung der allgegenwթƒԹ)rtigen Genozidleugnung in der Bundesrepublik.

Die Einstellungen des ehemaligen und des amtierenden deutschen Regierungschefs dokumentieren auf je ihre Art zwei substantielle Sachverhalte. Zum einen wird alles Denkbare bemթƒԹԶht, um der althergebrachten deutschen Geschichtsvergessenheit im Blick auf den Armeniermord weiter Vorschub zu leisten. Zum anderen zeigt sich immer mehr der Wunsch der deutschen VerantwortungstrթƒԹ)ger, sich der ihnen offenbar lթƒԹ)stigen Thematik des VթƒԹԳlkermords und der daraus entstehenden Konsequenzen zu entledigen. Beide Stellungnahmen sind als թƒԹ)uթƒժԴerst bedenklich zu bezeichnen. Beide Vorgehensweisen auf der hթƒԹԳchsten politischen Ebene stellen nicht nur eine deutliche Umkehrung der historischen RealitթƒԹ)ten dar, sondern auch das Zunichtemachen des erreichten minimalen Fortschritts in Deutschland in der Frage der Aufarbeitung des VթƒԹԳlkermords an den Armeniern wթƒԹ)hrend des Ersten Weltkriegs.

Aus der Sicht der GenozidթƒԹԶberlebenden und ihrer Nachkommen թƒԹԶbersteigt diese neue politische Haltung die eigentliche Katastrophe des Ersten Weltkriegs um einiges mehr. Denn sie schafft erneut eine erschreckende Lebenswirklichkeit sowohl fթƒԹԶr die Nachkommen der GenozidթƒԹԶberlebenden als auch fթƒԹԶr die Nachfahren der Menschen in den TթƒԹ)tergesellschaften.

Und letztlich stellt sich wiederholt die Frage danach, ob Deutschland sich erneut in ein Genozidleugnerstaat verwandele oder schlicht zu keinem Zeitpunkt aufgehթƒԹԳrt habe, ein Genozidleugnerstaat zu sein. Auch wenn die Haltung einzelner Spitzenpolitiker nicht zwingend auf die offizielle staatliche Ebene թƒԹԶbertragbar ist, wirkt sie gleichwohl folgenschwer und zeitigt ausgedehnte Nachahmungseffekte auf gesellschaftlicher und politischer Ebene.

FթƒԹԶr GenozidթƒԹԶberlebende und ihre Nachfahren ist die Schuldfrage eindeutig benennbar und bemeթƒժԴbar: Der VթƒԹԳlkermord an den Armeniern war eine geplante Tat der tթƒԹԶrkischen Nationalisten, die diese mit ideeller und materieller UnterstթƒԹԶtzung des deutschen Bundesgenossen vollziehen konnten. Das deutsche Kaiserreich, in dem der Armenierhass unter den Gebildeten und Ungebildeten der Nation weit verbreitet war, leistete թ§Չ‚-Չ€œ mit wenigen heilsamen Ausnahmen թ§Չ‚-Չ€œ geschթƒԹ)ftige Beihilfe zum Massenmord. Das wilhelminische Deutschland, das sich auf dem HթƒԹԳhepunkt des Militarismus und des Imperialismus befand und vielfթƒԹ)ltige und nachhaltige politische, militթƒԹ)rische und wirtschaftliche Interessen im Orient verfolgte, war auf allen Ebenen in die Vernichtung der Armenier verstrickt und daran beteiligt. Ohne die musterhafte Treue des wilhelminischen VerbթƒԹԶndeten waren die tթƒԹԶrkischen Nationalisten mitnichten im Stande, einen VթƒԹԳlkermord solchen AusmaթƒժԴes zu betթƒԹ)tigen.

Obgleich sich die deutsche Historikerzunft und die deutsche Geschichtsforschung bis jetzt weitgehend diesen Fragen entzogen haben, sind diese penibel und akribisch dokumentiert. Es ist lթƒԹ)ngst Zeit, dass auch die deutsche Forschungslandschaft sich dieser fundamentalen Fragen annimmt. Denn die Anklage der Nachkommen der Opfer des VթƒԹԳlkermords durch die Regierungen der TթƒԹԶrkei und Deutschlands steht im Raum und lթƒԹ)sst sich durch beharrliches Stillschweigen oder in Abrede stellen nicht aufarbeiten. Die Aufarbeitung des VթƒԹԳlkermords an den Armeniern stellt eine ureigenste Obliegenheit der Republik TթƒԹԶrkei und der Bundesrepublik Deutschland dar. Die deutsche Gesellschaft ist an dieser Stelle freilich viel weiter gekommen und die tթƒԹԶrkische hat sich auf den Weg gemacht, sich ihrer Vergangenheit zu stellen.

Das 100jթƒԹ)hrige Gedenken an die Opfer des VթƒԹԳlkermords im Jahre 2015 unter den anhaltenden politischen Konstellationen, die der Genozidleugnung und der Geschichtvergessenheit zum Erfolg verhelfen wollen, steht unausweichlich unter der erdrթƒԹԶckenden Last der Schuldfrage. Diejenigen, die sich bereits heute mit der Koordination und Organisation der Gedenkveranstaltungen befassen, sollten die neue gefթƒԹ)hrliche Stimmungslage in der bundesdeutschen Spitzenpolitik berթƒԹԶcksichtigen und sachgemթƒԹ)թƒժԴ darauf reagieren. Die Schuldfrage zu stellen ist allerdings kein Selbstzweck, aus ihr erwթƒԹ)chst Verantwortung, der sich die politische Elite der Bundesrepublik allzu gern entzieht. Auf kurz oder lang fթƒԹԶhrt aber kein Weg an der Wahrheit vorbei.

 

3. Oktober 2012

Arthur Manukian

armenieninfo.net

photo by AAE

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