Ohne eine Kenntnis der Vorgeschichte des Verbrechens, dem 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen, erscheint das, was sich ab 1915 im Osmanischen Reich ereignete, vielleicht wie eine unvorhersehbare, unabwendbare թ§Չ-ժԷKatastropheթ§Չ-ժ. Politisch motivierte Verbrechen werden aber von politischen KrթԹ)ften vorbereitet und durchgefթԹԶhrt. Weder das Komitee fթԹԶr Einheit und Fortschritt (Ittihat ve Terakki Cemiyeti) im Osmanischen Reich, noch spթԹ)ter die Nationalsozialisten in Deutschland haben ihre Absichten gegenթԹԶber den ethnischen, religiթԹԳsen und politischen Gruppen, die sie als ihre Feinde betrachteten, verborgen gehalten. Bereits bevor sie an die Macht gelangten, haben sie in ihren Publikationen und ErklթԹ)rungen die GrundzթԹԶge ihrer Politik offen zum Ausdruck gebracht.թԹ Um zu verstehen, wie es VթԹԳlkermord im Osmanischen Reich kommen konnte, muss vor allem die politische Entwicklung nach der թ§Չ-ժԷjungtթԹԶrkischen Revolutionթ§Չ-ժ von 1908 nթԹ)her betrachtet werden.
Auch ist es wichtig, die Politik der verschiedenen armenischen politischen KrթԹ)fte zu untersuchen: WթԹ)hrend manche die aufziehende թ§Չ-ժԷKatastropheթ§Չ-ժ erkannten und versuchten dagegen etwas zu unternehmen, unterstթԹԶtzten andere diejenigen, die spթԹ)ter fթԹԶr die verbrecherische Politik verantwortlich waren. թժber die unterschiedliche Haltung der armenischen Parteien gegenթԹԶber dem Komitee fթԹԶr Einheit und Fortschritt, das 1908 an die Macht gelangte, ist wenig bekannt. Waren die armenischen Parteien wirklich separatistisch oder verrթԹ)terisch, wie sie von der offiziellen tթԹԶrkischen Geschichtsschreibung dargestellt werden? Und welche Politik verfolgte das jungtթԹԶrkische Komitee gegenթԹԶber den Armeniern und ihren Parteien?
Die armenischen Parteien und das Komitee fթԹԶr Einheit und Fortschritt
Nach dem Berliner Kongress im Juli 1878, wo sich die osmanische Regierung verpflichtet hatte թ§Չ-ժԷunverzթԹԶglich die Verbesserungen und Reformen zu verwirklichenթ§Չ-ժ, um die LebensverhթԹ)ltnisse der von den Armeniern bewohnten Provinzen des Reiches zu verbessern, trat kein Wandel ein. Statt der erhofften Verbesserungen und Reformen nahm die UnterdrթԹԶckung der armenischen Bauern noch mehr zu, WillkթԹԶr und Gewalt machten ihr Leben unertrթԹ)glich. Etwa zehn Jahre warteten die Armenier vergeblich auf die Umsetzung der auf dem Berliner-Kongress versprochenen Reformen. Danach setzte sich bei ihnen immer mehr die թժberzeugung durch, dass sie fթԹԶr ihre Rechte selber kթԹ)mpfen mussten. In der Schweiz grթԹԶndeten einige Armenier 1887 die Sozialdemokratische Hntschak Partei (SDHP), die erste sozialistisch orientierte armenische Partei.
թԹ In Tiflis wurde dann 1890 die Armenische RevolutionթԹ)re FթԹԳderation (Daschnakzutiun) gegrթԹԶndet. Versuche, die beiden Parteien zu vereinigen scheiterten. Die ARF erlebte innerhalb kurzer Zeit einen groթժԴen Aufschwung und wurde zur bedeutendsten armenischen Partei. Sie hatte einen entscheidenden Einfluss auf die politische Entwicklung unter den Armeniern sowohl im Osmanischen Reich als auch im zaristischen Russland. Im Gegensatz zur SDHP, die fթԹԶr ein unabhթԹ)ngiges, vereintes Armenien kթԹ)mpfte, setzte sich die ARF nur fթԹԶr eine թ§Չ-ժԷumfassende Autonomieթ§Չ-ժ unter osmanischer Herrschaft ein. Auf dem 4. Parteikongress im April 1907 wurde ein sozialistisches Parteiprogramm angenommen und die ARF wurde Mitglied der Sozialistischen Internationale.
In jenen Jahren formierte sich auch unter den TթԹԶrken Widerstand gegen die despotische Herrschaft Sultan Abdul Hamids. Die Mitglieder dieser Oppositionsbewegung waren von den politischen und philosophischen StrթԹԳmungen in Europa beeinflusst. Mit politischen Reformen wollten sie das vom Zerfall bedrohte Reich retten. Das 1889 von Studenten der medizinischen FakultթԹ)t der MilitթԹ)rakademie in Konstantinopel gegrթԹԶndete Komitee fթԹԶr Einheit und Fortschritt wurde zur wichtigsten Organisation innerhalb der jungtթԹԶrkischen Bewegung. Sie spielte bei der Entwicklung des tթԹԶrkischen Nationalismus eine herausragende Bedeutung.
Zwischen den im Exil lebenden jungtթԹԶrkischen und armenischen Oppositionspolitikern gab es immer wieder Verhandlungen թԹԶber ein gemeinsames Vorgehen zum Sturz Abdul Hamids. Im Februar 1902 fand in Paris eine erste Versammlung statt, an der sowohl JungtթԹԶrken als auch Vertreter von Organisationen nichttթԹԶrkischer VթԹԳlker des Osmanischen Reiches teilnahmen. WթԹ)hrend die SDHP der Einladung nicht folgte, nahm die ARF an dem Treffen teil. Auf ihre Initiative wurde im Dezember 1907 in Paris eine zweite Konferenz der verschiedenen Oppositionsgruppen durchgefթԹԶhrt. Die SDHP lehnte die Einladung ab und machte ihrerseits der ARF den Gegenvorschlag, eine Konferenz aller armenischen Organisationen durchzufթԹԶhren und eine gemeinsame Front im Kampf gegen Sultan Abdul Hamid zu bilden. Die damals einflussreichste armenische Partei entschied sich aber zugunsten eines BթԹԶndnisses mit den JungtթԹԶrken: թ§Չ-ժԷSelbst wenn alle armenischen Parteien sich vereinigen wթԹԶrden, kթԹԳnnten sie nichts erreichen, weil der Feind, dem sie gegenթԹԶberstehen, ist stթԹ)rker, als sie sich vorstellen kթԹԳnnen. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, mit den JungtթԹԶrken zu einer Vereinbarung zu kommen, um das Ziel mit ihrer Hilfe zu erreichenթ§Չ-ժ, hieթժԴ es in der BegrթԹԶndung der Ablehnung des Vorschlags der SDHP.<!–[if !supportFootnotes]–>[1]<!–[endif]–>թԹ
Als mit der թ§Չ-ժԷjungtթԹԶrkischen Revolutionթ§Չ-ժ im Juli 1908 die von Abdul Hamid auթժԴer Kraft gesetzte Verfassung von 1876 wiederhergestellt wurde, hofften die christlichen VթԹԳlker im Osmanischen Reich, dass ihre Diskriminierung und UnterdrթԹԶckung endlich beendet wթԹԶrde. Unter der Herrschaft Abdul Hamids hatten vor allem die Armenier gelitten. Den Massakern in den Jahren 1895/96 waren Hunderttausende von ihnen zum Opfer gefallen, viele hatten in den folgenden Jahren ihre Heimat verlassen und waren nach Amerika oder Europa ausgewandert. Zehntausende von Armeniern in den lթԹ)ndlichen Gebieten im Hochland von Armenien wurden zwangsweise islamisiert. Aufgrund der blutigen UnterdrթԹԶckungspolitik wթԹ)hrend der Herrschaft Abdul Hamids ging der armenische BevթԹԳlkerungsanteil im Hochland von Armenien zurթԹԶck, wթԹ)hrend gleichzeitig der Einfluss der kurdischen Feudalherren und StammesfթԹԶhrer noch stթԹ)rker wurde.
Die թ§Չ-ժԷjungtթԹԶrkische Revolutionթ§Չ-ժ von 1908 und das Komitee fթԹԶr Einheit und Fortschrit
Obwohl das Komitee fթԹԶr Einheit und Fortschritt und die ARF auf der Konferenz in Paris ein BթԹԶndnis im KampfթԹ gegen die թԹ despotische Herrschaft Abdul Hamids eingingen, betrachteten viele JungtթԹԶrken die Armenier als Separatisten und damit Feinde der Einheit des Reiches. Dr. Behaeddin. Sakir, ein fթԹԶhrendes Mitglied des Komitees, der 1915 eine SchlթԹԶsselrolle beim VթԹԳlkermord spielte, schrieb kurz nach dem Abkommen an einen Freund, das BթԹԶndnis mit dem թ§Չ-ժԷTodfeindթ§Չ-ժ sei taktisch und nur vorթԹԶbergehend. Obwohl es also bereits vor 1908 genթԹԶgend Anzeichen einer feindseligen Haltung der JungtթԹԶrken gegenթԹԶber den christlichen VթԹԳlkern gab, wurden sie weitgehend ignoriert. Behaeddin Sakir bezeichnete die Ziele des Komitees bereits 1908 mit folgenden Worten: թ§Չ-ժԷDas Komitee fթԹԶr Einheit und Fortschritt will Zentralisation und Alleinherrschaft der TթԹԶrken. Er will einen einheitlichen tթԹԶrkischen Nationalstaat, mit tթԹԶrkischen Schulen, tթԹԶrkischer Verwaltung, tթԹԶrkischer Rechtslage.թ§Չ-ժ Die Publikationen der JungtթԹԶrken propagierten offen eine chauvinistische und rassistische Politik. Auf dem Kongress des Komitees in Saloniki 1911 wurden die entscheidenden politischen Weichen fթԹԶr die folgenden Jahre gestellt: Das Osmanische Reich mit seiner multiethnischen und religiթԹԳsen Zusammensetzung sollte zu einem ethnisch und religiթԹԳs homogenen, zentralistischen Staat unter der Herrschaft der TթԹԶrken werden.
Im Gegensatz zur ARF erkannt die SDHP die von einer immer stթԹ)rker werdenden tթԹԶrkisch-nationalistischen Politik ausgehende Gefahr und versuchte, dagegen etwas zu unternehmen.թԹ Im Februar 1912 hatte sie sich im Kampf gegen das Komitee mit der liberal-osmanischen Oppositionspartei թ§Չ-ժԷItilaf ve HթԹԶrriyetթ§Չ-ժ (Einheit und Freiheit) verbթԹԶndet. Das Komitee betrachte die SDHP, die ihr gegenթԹԶber bereits vor der թ§Չ-ժԷRevolutionrթ§Չ-ժ eine ablehnende Haltung vertreten hatte, als ihren gefթԹ)hrlichsten Gegner unter den armenischen Parteien. Diese EinschթԹ)tzung erwies als richtig: Angesichts der bedrohlichen Entwicklung beschloss die SDHP auf ihrem 7. Parteikongress in Konstanza (RumթԹ)nien) im September 1913 ein Attentat auf die FթԹԶhrung des Komitees. Ein armenischer Agent verriet den Plan und թԹԶber 140 Hntschakisten wurde in Konstantinopel verhaftet. Am 15. Juni 1915 wurden 20 von ihnen auf dem Beyazit-Platz hingerichtet. Die Verhaftung zahlreicher Parteiaktivisten fթԹԶhrte zu einer entscheidenden SchwթԹ)chung der Partei.
Die ARF, die weitaus stթԹ)rkere Organisation, hatte nach der թ§Չ-ժԷRevolutionթ§Չ-ժ im Vertrauen auf die Versprechungen ihrer jungtթԹԶrkischen BթԹԶndnispartner ihre bewaffneten Einheiten im Osmanischen Reich aufgelթԹԳst.<!–[if !supportFootnotes]–>[2]<!–[endif]–> Garo Sasuni, ein fթԹԶhrender ARF-Politiker schreibt թԹԶber die Politik nach der թ§Չ-ժԷRevolutionթ§Չ-ժ:թ§Չ-ժԷDie Daschnak-Partei gab sich mit den ihnen angebotenen politischen Freiheiten zufrieden und թԹԶberlieթժԴ die LթԹԳsung der Armenischen Frage dem osmanischen Staat. Im Programm der Daschnak-Partei hieթժԴ es, dass die umfassende Autonomie fթԹԶr das osmanische Armenien nur im gemeinsamen BթԹԶndnis mit dem osmanischen Staat verwirklicht werden kթԹԳnne. Die Daschnak-Partei ging davon aus, dass die Durchsetzung der staatbթԹԶrgerlichen Rechte und die Sicherheit des Lebens und Eigentums fթԹԶr die Armenier eine lebenswichtige Frage sei, die nur durch den Bestand der Verfassung gewթԹ)hrleistet werden kթԹԳnne.թ§Չ-ժ<!–[if !supportFootnotes]–>[3]<!–[endif]–>
Auch nach den Massakern in Kilikien 1909, wo unter Beteiligung von JungtթԹԶrken und Armee-Einheiten unter FթԹԶhrung jungtթԹԶrkischer Offiziere 30.000 Armenier neidergemetzelt wurden, hielt die ARF am BթԹԶndnis mit dem Komitee fest und hoffte, dass ihre jungtթԹԶrkischen VerbթԹԶndeten ihre Versprechungen doch noch erfթԹԶllen wթԹԶrden. Erst ab 1911 erkannte sie allmթԹ)hlich, dass JungtթԹԶrken nicht die Absicht hatten, den nichttթԹԶrkischen VթԹԳlkern des Reiches gleiche Rechte zu gewթԹ)hren und die unertrթԹ)gliche Lage der armenischen Bauern in den թԹԳstlichen Provinzen zu verbessern. Ab 1913 setzte die Partei ihre Hoffnungen deshalb wieder verstթԹ)rkt auf die europթԹ)ischen GroթժԴmթԹ)chte. Im Februar 1914 stimmte die jungtթԹԶrkische Regierung sehr widerwillig einem Abkommen zu, die Reformen in den թԹԳstlichen von den Armeniern vorsahen. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich am Horizont bereits der 1. Weltkrieg ab.
Als Anfang August 1914 in Erzurum der 8. Partei-Kongress der ARF tagte, hatte der 1. Weltkrieg bereits begonnen. Behaeddin Sakir, der mit einer Delegation in Erzurum erschien, versuchte die ARF FթԹԶhrung dazu zu bewegen, im russischen Teil Armeniens einen Aufstand gegen die Russen zu organisieren. Obwohl die ParteifթԹԶhrung zu diesem Zeitpunkt vermutlich nichts թԹԶber das am 2. August abgeschlossene deutsch-tթԹԶrkisches Geheimabkommen wissen konnte, dթԹԶrfte sie erkannt haben, das die tթԹԶrkische Regierung die Absicht hatte, auf deutscher Seite in den Krieg einzutreten. In einer letzten LoyalitթԹ)tsbekundung versicherten sie denen, die bereits das Todesurteil թԹԶber das armenische Volk gefթԹ)llt hatten, dass die armenischen BթԹԶrger des Osmanischen Reiches im Falle eines Kriegeseintritts ihre թ§Չ-ժԷvaterlթԹ)ndische Pflichtթ§Չ-ժ erfթԹԶllen wթԹԶrden.թԹ
Di armenischen Soldaten, die Anfang 1915 entwaffnet wurden und in Arbeitsbataillonen dienen mussten, wurden թ§Չ-Չ wenn sie die unmenschlichen Bedingungen թԹԶberlebten թ§Չ-Չ nach vollendeter Arbeit abschlachten. Nachdem die fթԹԶhrenden armenischen Politiker und Intellektuellen am 24. April und den darauf folgenden Tagen und Wochen verhaftet und ermordet wurden, begann die Regierung mit der Umsetzung ihres Vernichtungsplans. Die berթԹԶchtigte Spezialorganisation (Teskilati Mahsusa) spielte dabei eine besondere Rolle. An ihrer Spitze stand Behaeddin Sakir.թԹ
Toros Sarian
06.06.2010
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