
Vielleicht lag es daran, daթժԴ die Linkspartei es war, die in einer Kleinen Anfrage nach dem VթԹԳlkermord an den Armeniern 1915/16 fragte. Die Antworten des AuswթԹ)rtigen Amt waren jedenfalls noch bedeutungsloser als die des kaiserlichen AA-StaatsekretթԹ)rs im Ersten Weltkrieg, Friedrich Zimmermann, gegenթԹԶber den damaligen Reichstagsabgeordneten mitten in der strengsten Zensur, die Deutschland je hatte. Mehr noch: Fast ein Jahrhundert Forschung թԹԶber dieses Thema ist im deutschen AuթժԴenamt ganz offensichtlich noch nicht angekommen, jedenfalls nicht bei ihren hohen FDP-Vertretern.թԹ թԹ
Wie ist es sonst zu erklթԹ)ren, daթժԴ der StaatssekretթԹ)r des AuswթԹ)rtigen Amts, Dr. Wolf-Ruthart Born – wie vorher schon die Staatsministerin Cornelia Pieper – sich auթժԴerstande sieht, den VթԹԳlkermord an den Armeniern anhand des umfangreichen Materials des Politischen Archiv seines eigenen Amtes und nach den Kriterien der UN-VթԹԳlkermordkonvention zu bewerten. Diese Konvention sei fթԹԶr die Bundesrepublik erst am 22. Februar 1955 in Kraft getreten, weicht er aus, und kթԹԳnne deshalb nicht rթԹԶckwirkend angewendet werden. Das gilt fթԹԶr die Strafbarkeit, aber doch nicht fթԹԶr die Frage, ob das, was 1915/16 mit den Armeniern in der TթԹԶrkei geschah, nach den UN-Kriterien ein VթԹԳlkermord war oder nicht. Nach diesen Kriterien seien die Ereignisse von 1915/16 ein Genozid, hatte der tթԹԶrkische Historiker Halil Berktay vor einigen Wochen in Hamburg klargestellt – und er riskiert dafթԹԶr eine Haftstrafe, denn in der TթԹԶrkei ist schon die Nennung des Wortes թ§Չ-ժԷGenozidթ§Չ-ժ fթԹԶr das was 1915/16 den Armeniern angetan wurde, strafbewehrt. Der tթԹԶrkische Professor zeigte Mut, der deutsche StaatssekretթԹ)r, dem keine Konsequenzen drohen, kniff.
թ§Չ-ժԷDie Bundesregierung nimmt insgesamt keine Bewertung der vorliegenden Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zur Rolle des deutschen Kaiserreichs vorթ§Չ-ժ; beschied Herr Born die Abgeordneten. Man stelle sich vor, ein deutscher Minister lehne wissenschaftliche Gutachten fթԹԶr anstehende Entscheidungen mit dem Argument ab, die Bundesregierung nթԹ)hme keine Bewertung vorliegender Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung vor.թԹ թԹ թԹ թԹ թԹ
Wissenschaftliche Forschung akzeptiert Herr Born allerdings dann, wenn sie politisch gelenkt wird. Er meinte damit eine թ§Չ-ժԷHistorikerkommissionթ§Չ-ժ, die von TթԹԶrken und Armeniern թ§Չ-ժԷals Teil der von beiden Seiten mitgetragenen Gesamteinigungթ§Չ-ժ zu verstehen seien. Sollten beide LթԹ)nder es wթԹԶnschen, wթԹԶrden sicherlich auch deutsche Forscher թ§Չ-ժԷeinen wertvollen Beitrag zu diesem ProzeթժԴ leisten kթԹԳnnenթ§Չ-ժ, fթԹԶgt Herr Born hinzu. Das tun sie schon seit einiger Zeit, ganz ohne staatliche Lenkung. Historikerkommissionen in Form von Kongressen oder Workshops թԹԶber den VթԹԳlkermord gibt es bereits und sie leisten exzellente Arbeit, auch wenn das noch nicht zum StaatsekretթԹ)r vorgedrungen ist.թԹ
Keine Frage: Die Anerkennung des VթԹԳlkermords an den Armeniern durch Regierungen oder Parlamente թԹԶberschattet oft die Auseinandersetzung mit dem Menschheitsverbrechen selbst. Sicher ist, daթժԴ der VթԹԳlkermord an den Armeniern von 1915/16 nicht zu einer RealitթԹ)t wird, weil ein Parlament ihn anerkennt. Und diese RealitթԹ)t verschwindet auch nicht, weil eine Regierung oder ein Parlament sie leugnet. Die RealitթԹ)t des VթԹԳlkermords an den Armeniern verթԹ)ndert sich nicht, wenn eine staatliche Kommission, die das Wort թ§Չ-ժԷHistorikerթ§Չ-ժ einbaut und damit eine ScheinobjektivitթԹ)t vorgaukelt, sich seiner annimmt. Es sind schlieթժԴlich staatliche tթԹԶrkische Historiker, die das LeugnungsgebթԹ)ude errichtet haben, auf das sich die offizielle TթԹԶrkei beruft – nebenbei gesagt eine ausgesprochene Bruchbude, die keinem ernsthaften Sturm standhթԹ)lt.
Der VթԹԳlkermord an den Armeniern braucht kein staatliches Siegel, um anerkennt zu werden. Seine FaktizitթԹ)t ist weltweit belegt. Vom Holocaust abgesehen gibt es kaum ein historisches Ereignis dieser Art, das inzwischen besser untersucht worden ist als der Armenier-Genozid. Er ist kein Problem der Geschichte mehr, sondern ein Problem der TթԹԶrkei und der TթԹԶrken – und, wenn auch mit einigem Abstand, Deutschlands und der Deutschen. In diesen beiden LթԹ)ndern wird er weitgehend verschwiegen. Aber erst seine penetrante Leugnung durch einen Staat, der in der EuropթԹ)ischen Union aufgenommen werden will – und dann neben Deutschland der volkreichste der Gemeinschaft wթԹ)re – macht den Fall zu einem Politikum ersten Ranges. թԹ թԹ թԹ թԹ թԹ թԹ թԹ
Die osmanischen Armenier zu vernichten, war eine politische Entscheidung, getroffen von einer Handvoll AmtstrթԹ)ger des sogenannten Komitees fթԹԶr Einheit und Fortschritt. Diese Entscheidung wurde schlieթժԴlich von nahezu allen Mitgliedern der jungtթԹԶrkischen Bewegung getragen. Die bis heute anhaltende Leugnung dieses VթԹԳlkermords durch die maթժԴgebenden tթԹԶrkischen Institutionen und die Mehrheit der BevթԹԳlkerung schafft eine weitere politische RealitթԹ)t. WթԹ)hrend keiner der Verantwortlichen des VթԹԳlkermords mehr lebt und vor Gericht gestellt werden kann, belastet die offizielle Leugnung die heutige tթԹԶrkische Gesellschaft. Deshalb gibt es mehr und mehr tթԹԶrkische Intellektuelle, die sich von dieser Last befreien wollen. Sie empfinden eine kollektive Scham fթԹԶr das Versagen aller tթԹԶrkischen Regierungen seit dem VթԹԳlkermord, einige sprechen sogar von kollektiver Schuld der heutigen tթԹԶrkischen Zivilgesellschaft, wenn sie es nicht schafft, diesen Makel endlich loszuwerden.
Vor diesem Hintergrund ist wichtig, was die Bundesrepublik Deutschland als Nachfolger des Deutschen Reichs in Sachen VթԹԳlkermord an den Armeniern unternimmt oder unterlթԹ)թժԴt. Das Kaiserreich war im Ersten Weltkrieg der wichtigste VerbթԹԶndete des Osmanischen Reichs. Das deutsche AuswթԹ)rtige Amt, an dessen Spitze der Kanzler stand, kannte alle Details des Genozids. Kaiser Wilhelm II., seine Politiker und GenerթԹ)le waren die einzigen, die den VթԹԳlkermord hթԹ)tten verhindern kթԹԳnnen. Es war eine politische Entscheidung des damaligen Kanzlers Bethmann Hollweg, nichts fթԹԶr die Armenier zu tun und sie damit untergehen zu lassen.թԹ թԹ թԹ թԹ թԹ թԹ թԹ թԹ
Wenn Uruguay oder Schweden den VթԹԳlkermord an den Armeniern offiziell anerkennen, um den ersten und letzten Staat zu nennen, der diesen Schritt getan hat, dann ist das eine Genugtuung fթԹԶr das թԹԶber die Welt verstreute armenische Volk und die heutige Republik Armenien, die viele Jahrzehnte unter der MiթժԴachtung ihre tragischen Geschichte litten. Eine neue QualitթԹ)t ergibt sich daraus nicht. Wenn aber die Nachfolger des wichtigsten tթԹԶrkischen VerbթԹԶndeten diesen Schritt tun, hat das erhebliche moralische Bedeutung, wenn die TթԹԶrkei selbst ihn geht, sogar juristische Konsequenzen.
Der Bundestag war nahe dran, die groթժԴe Mitschuld Deutschlands am VթԹԳlkermord zumindest moralisch tilgen zu helfen. Seine vor fթԹԶnf Jahren von allen Fraktionen getragene Resolution zum VթԹԳlkermord an den Armeniern vermied zwar das Wort թ§Չ-ժԷGenozidթ§Չ-ժ, las sich teilweise aber deutlich genug, um bei den Armeniern den Eindruck zu hinterlassen, Deutschland habe den VթԹԳlkermord anerkannt.
Allerdings hatten die Resolutions-Autoren Tunnel eingebaut, durch die sich Deutschland fast unbemerkt wieder aus der Verantwortung stehlen konnte. Statt Forschungsgelder an eine staatliche Wissenschaftsinstitution zu leiten mit der MaթժԴgabe, wenigstens einen deutschen Historiker mit der professionellen Aufarbeitung der deutschen Rolle zu beauftragen, stթԹԶtzte die Regierung das Lepsiushaus, das թԹԶber keinerlei Kompetenz in der Materie verfթԹԶgte. Es war nicht einmal in der Lage herauszufinden, warum die groթժԴe AusklթԹ)rungsarbeit des Theologen Lepsius, sein 1916, also noch wթԹ)hrend des VթԹԳlkermords verfaթժԴtes Manuskript թԹԶber die Ungeheuerlichkeiten in der fernen TթԹԶrkei, nicht bei den 20000 Pfarrstellen ankam, an die Lepsius und seine Freunde den Bericht geschickt hatten. Es kam nicht an, weil die protestantische Kirche es verhinderte und nicht, wie vom Lepsiushaus behauptet, die preuթժԴische Zensur. Dazu muթժԴ man wissen, daթժԴ das Lepsiushaus fest in der Hand der protestantischen Kirche ist. Es bildet also so eine Art halbstaatlicher Historikerkommission, auch wenn sie fast nur aus Theologen besteht – ganz im Sinne von Herrn Born und deshalb auch staatlich gefթԹԳrdert.
Der wichtigste Tunnel der Resolution war der Weg in die bilateralen GesprթԹ)che zwischen Armeniern und TթԹԶrken, die der Bundestag favorisierte. Damit war auch die deutsche Rolle vom Tisch und der Schwarze Peter bei Armeniern und TթԹԶrken. Den Linken im Bundestag gelang es nicht, ihn wieder der Regierung zuzuspielen. Allerdings hat ihnen ihre politische Unerfahrenheit auch manche Frage schlicht verbaut.
թ§Չ-ժԷWie beurteilt die Bundesregierung die ZugթԹ)nglichkeit der Unternehmensarchive der frթԹԶheren Philipp Holzmann AG und der Deutschen Bank AG fթԹԶr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nach den Namen von ehemaligen armenischen Zwangsarbeitern und dem Verbleib armenischer VermթԹԳgenseinlagen forschen wollenթ§Չ-ժ, war eine der Fragen, die Herr Born leicht abschmettern konnte, weil Unternehmensarchive nicht dem Bundesarchivgesetz unterliegen und folglich auch nicht vom Staat zugթԹ)nglich gemacht werden kթԹԳnnen. Philipp Holzmann aber ist pleite gegangen. Und in seinem Archiv lagen hթԹԳchst wertvolle Unterlagen թԹԶber die armenischen Arbeiter der Bagdadbahn-Baugesellschaft und ihre Schicksale. Warum der Bund diese Unterlagen nicht aufgekauft hat, wթԹ)re eine sinnvolle Frage gewesen. Der Konkursverwalter hթԹ)tte sie vielleicht sogar verschenkt statt sie vermutlich schreddern zu lassen.
Aber diese Unterlagen waren natթԹԶrlich auch heikel. Die Bagdadbahn war das deutsche Prestigeobjekt im Osmanischen Reich schlechthin. Da gab es so manches zu verstecken und das wթԹ)re dann zu entdecken. DaթժԴ die Deutsche Bank in absehbarer Zeit pleite geht, ist nicht zu erwarten – allerdings weiթժԴ man das neuerdings bei Banken nie. Da StaatssekretթԹ)r Born fթԹԶr diesen Fall sicherlich keine Aktennotiz mit Archivaufkauf im AA-Computer hinterlթԹ)թժԴt, sollten Parteien im Bundestag einen Vermerk anlegen, denn die Dokumente der Deutschen Bank zum VթԹԳlkermord an den Armeniern sind keine peanuts. Das weiթժԴ natթԹԶrlich auch die TթԹԶrkei – und hat schon einen Mauwurf in das wertvolle Archiv geschleust.
Wolfgang Gust
24.06.2010
armenieninfo.net
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