Jahrelang saթժԴ Erdogan-Kritiker Sevan Nisanyan im tթԹԶrkischen GefթԹ)ngnis. Dann gelang die Flucht – per Jacht. FթԹԶr den allmթԹ)chtigen Sicherheitsapparat des PrթԹ)sidenten eine Blamage.
Von Maximilian Popp
Ein einziger Satz genթԹԶgte, um die TթԹԶrkei in Aufregung zu versetzen: “Der Vogel ist davongeflogen”, schrieb der tթԹԶrkische Autor und Architekt Sevan Nisanyan am 14. Juli auf Twitter. Seine 50.000 Follower wussten sofort, was gemeint war: Nisanyan, ein Regimekritiker, der seit Januar 2014 in der TթԹԶrkei in Haft saթժԴ, war der Ausbruch aus dem GefթԹ)ngnis gelungen.
Die Nachricht verbreitete sich innerhalb von Stunden im Land. PrթԹ)sident Recep Tayyip Erdogan hat in den vergangenen Jahren mehrere zehntausend Oppositionelle festnehmen lassen. Doch selten zuvor war einem Gefangenen die Flucht geglթԹԶckt.
Nisanyan hat den Staat vorgefթԹԶhrt, dabei gilt der tթԹԶrkische Sicherheitsapparat als allmթԹ)chtig. Nun wurde er von einem einzelnen Mann թԹԶberlistet. Nisanyans Flucht verlief derart simpel, dass sie fթԹԶr Erdogan vor allem eins ist – eine ungeheuerliche Provokation.
Sein gesamtes Berufsleben lang hat sich Nisanyan, ein klein gewachsener Mann mit Halbglatze, 60 Jahre alt, mit den MթԹ)chtigen in der TթԹԶrkei angelegt. Er ist in seinen BթԹԶchern und AufsթԹ)tzen թԹԶber RepublikgrթԹԶnder Kemal AtatթԹԶrk hergezogen, թԹԶber den Islam
FթԹԶr viele TթԹԶrken ist Nisanyan ein Vordenker. In Sirince, seinem Heimatdorf nahe der թՉgթԹ)iskթԹԶste, hat er gemeinsam mit einem tթԹԶrkischen Mathematiker eine Sommerakademie fթԹԶr SchթԹԶler und Studenten gegrթԹԶndet, die als eine der besten Lehranstalten in der TթԹԶrkei gilt. Dem Staat hingegen gilt er als Querulant, der die bestehende Ordnung stթԹԳrt.
Als Nisanyan 2012 in einer Kolumne թԹԶber den Propheten Mohammed spottete, erթԹԳffnete die Justiz ein Blasphemie-Verfahren. Der Prozess scheiterte an einem Formfehler. Wenige Monate spթԹ)ter wurde Nisanyan erneut vor Gericht gestellt. Er soll in Sirince Bauvorschriften missachtet haben. Der Richter verurteilte ihn fթԹԶr ein Delikt, das in der TթԹԶrkei fթԹԶr gewթԹԳhnlich als Bagatelle behandelt wird, zu 16 Jahren Freiheitsstrafe. “Jeder weiթժԴ, dass dieser Fall nichts mit Baurecht zu tun hat, sondern mit Nisanyans Arbeit als Autor”, heiթժԴt es in einer Petition.
Nisanyan selbst glaubt, dass die Strafe gegen ihn auch deshalb so hoch ausgefallen ist, weil er Armenier ist. “Der tթԹԶrkische Staat duldet Minderheiten nur dann, wenn sie unsichtbar sind, wenn sie sich vollstթԹ)ndig assimilieren.” Rassismus und Chauvinismus zթԹԳgen sich durch die tթԹԶrkische Geschichte. “Das hat nicht mit Erdogan begonnen. Und wird nicht mit Erdogan enden”, sagt er. FթԹԶr Nisanyan sind nicht einzelne Politiker das Problem, sondern die Strukturen des tթԹԶrkischen Staats: “Der Staat in der TթԹԶrkei ist seit jeher allmթԹ)chtig. Niemand darf seine Vertreter ungestraft kritisieren, niemand kann sie kontrollieren.”
Die ersten Haftjahre verbrachte Nisanyan in wechselnden HochsicherheitsgefթԹ)ngnissen. Er teilte sich Zellen mit bis zu 120 Menschen, mit MթԹԳrdern und Vergewaltigern. Schon damals, erzթԹ)hlt er, sei in ihm der Entschluss gereift zu fliehen. Als er im FrթԹԶhjahr in den offenen Vollzug verlegt wurde, sah er seine Chance gekommen.
Nisanyan nutzte den Freigang, der ihm laut Gesetz einmal im Vierteljahr zustand, um seinen Bewachern zu entkommen. Verwandte schmuggelten ihn im Auto an die թՉgթԹ)iskթԹԶste, wo ein Freund mit einer Jacht wartete. Nisanyan war nervթԹԳs, als er das Boot betrat. Er wusste, dass er den Rest seines Lebens im Knast verbringen wթԹԶrde, sollten ihn die Polizisten bei der Flucht fassen.
Zwei MթԹԳglichkeiten: Knast oder Flucht
Die TթԹԶrkei hat im Zuge des FlթԹԶchtlingsabkommens mit der EU die Kontrollen auf dem Seeweg nach Griechenland verschթԹ)rft. Doch die GrenzschթԹԶtzer achten vor allem auf Schlauchboote. Nisanyan setzte in seiner Jacht unbehelligt nach Griechenland թԹԶber. “Ich konnte selbst nicht glauben, wie einfach ich dem tթԹԶrkischen Staat entwischen konnte”, sagt er.
Einen Monat nach seiner Flucht sitzt Nisanyan in der Ferienwohnung eines Bekannten auf der griechischen Insel Samos, wo er vorerst untergekommen ist. Er hat in Griechenland Asyl beantragt – wie so viele seiner Landsleute.
Seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 hat ein Massenexodus aus der TթԹԶrkei eingesetzt. Es sind vor allem AngehթԹԳrige der Mittel- und Oberschicht, Unternehmer, թՉrzte, Professoren, die der TթԹԶrkei den RթԹԶcken kehren, Menschen wie Nisanyan. “Wenn du dich Erdogan nicht unterwirfst, hast du als Oppositioneller in der TթԹԶrkei zwei Alternativen”, sagt Nisanyan. “Entweder du gehst ins GefթԹ)ngnis, oder du fliehst.”
Griechenland bietet AuslթԹ)ndern, die Immobilien fթԹԶr mehr als 250.000 Euro kaufen, fթԹԶr fթԹԶnf Jahre eine Aufenthaltsgenehmigung. Mehrere Hundert TթԹԶrken haben allein in diesem Jahr von dem Programm Gebrauch gemacht. In Griechenland ist eine neue tթԹԶrkische Diaspora entstanden.
Im Exil zwischen Erleichterung und Heimweh
Nisanyan ist erleichtert darթԹԶber, der Haft entronnen zu sein. Doch er leidet unter seinem Leben im Exil. In der TթԹԶrkei habe er sich թԹԶber viele Jahre hinweg einen Ruf als Autor und Architekt aufgebaut. Nun werde er darauf reduziert, FlթԹԶchtling zu sein.
Die meisten tթԹԶrkischen Exilanten, erzթԹ)hlt er, hթԹ)tten sich auf der Insel Lesbos oder in Athen niedergelassen, wo bereits tթԹԶrkische Gemeinden bestehen, oder seien gleich weiter nach Deutschland gezogen. Er selbst ist in Samos geblieben, um seiner alten Heimat so nah wie mթԹԳglich zu sein.
Nisanyan will an einem Lexikon թԹԶber tթԹԶrkische FremdwթԹԳrter weiterarbeiten und ein Buch թԹԶber die Bedeutung von Religion in der Moderne schreiben. Irgendwann, so sagt er, wenn Erdogan einmal nicht mehr an der Macht ist, mթԹԳchte er in die TթԹԶrkei zurթԹԶckkehren – und das Land neu aufbauen.
spiegel.de
http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-erdogan-kritiker-sevan-nisanyan-gelingt-die-flucht-nach-griechenland-a-1165095.html
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