Als im Juni 2005 der Bundestag einstimmig einen gemeinsamen Antrag der CDU/CSU, SPD, FDP und GrթԹԶne/BթԹԶndnis 90 annahm, betrachteten viele Armenier dies als die lange erwartete Anerkennung des VթԹԳlkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich. Der Bundestag թ§Չ-ժԷbeklagt die Taten der jungtթԹԶrkischen Regierung des Osmanischen Reiches, die zur fast vollstթԹ)ndigen Vernichtung der Armenier in Anatolien gefթԹԶhrt habenթ§Չ-Թ, heiթժԴt es in dem Beschluss (Bundestags-Drucksache 15/5689). Es wurde auch an թ§Չ-ժԷdie unrթԹԶhmliche Rolle des Deutschen Reiches, das angesichts der vielfթԹ)ltigen Informationen թԹԶber die organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern nicht einmal versucht hat, die GrթԹ)uel zu stoppenթ§Չ-Թ erinnert. Das Verbrechen, dem 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen, wurde aber nicht ausdrթԹԶcklich als VթԹԳlkermord bewerten. Lediglich in der AntragsbegrթԹԶndung heiթժԴt es: թ§Չ-ժԷZahlreiche unabhթԹ)ngige Historiker, Parlamente und internationale Institutionen bezeichnen die Vertreibung und Vernichtung der Armenier als VթԹԳlkermord.թ§Չ-Թ Die GroթժԴe Koalition gegen die Anerkennung des VթԹԳlkermords, die nach der Bundestagsdebatte im April 2005 gebildet wurde, einigte sich auf eine raffinierte Formulierung, um sich des brisanten Themas zu entledigen. Ankara war damit zufrieden und verzichtete auf die sonst թԹԶblichen DrohgebթԹ)rden, Boykottaufrufe und diplomatischen Rituale mit denen auf eine Anerkennung reagierte wurde. Zufrieden konnte die tթԹԶrkischen Regierung auch darթԹԶber sein, dass der Bundestag die Bundesregierung aufforderte, թ§Չ-ժԷsich fթԹԶr die Bildung einer Historiker-Kommission einzusetzen, an der auթժԴer tթԹԶrkischen und armenischen Wissenschaftlern auch internationale Experten beteiligt sindթ§Չ-Թ.
Mit dem Bundestagsbeschluss 2005 schien das unbequeme Thema mit einem Schlag erledigt zu sein. Nur die Linksfraktion nervt die Regierung seitdem immer wieder mit Kleinen Anfragen: Sie will wissen, was die Bundesregierung konkret unternommen hat, um den Bundestagsbeschluss umzusetzen. Bekanntlich gibt es auch innerhalb der armenischen Gemeinschaft einige Vorbehalte gegenթԹԶber der Linken. Vor allem die Episode mit dem bekannten tթԹԶrkischen VթԹԳlkermordleugner Hakki Keskin, der in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied der Linksfraktion war, ist vielen noch gut in Erinnerung. Aber trotzdem bleibt es ein Verdienst der Linken, dass sie mit ihren kritischen Fragen einige unerfreuliche Tatsachen ans Tageslicht gefթԹԳrdert hat.AnlթԹ)sslich der kթԹԶrzlich bekannt gewordenen Position des AuswթԹ)rtigen Amtes in der Frage der Anerkennung des VթԹԳlkermords an den Armeniern lohnt sich ein RթԹԶckblick auf die Antworten auf die vorherigen Kleinen Anfragen. Am 19.03.2007 fragte die Links-Fraktion nach den թ§Չ-ժԷKonsequenzen aus der deutschen Mitverantwortung fթԹԶr den VթԹԳlkermord an den Armeniernթ§Չ-Թ (BT-Drucksache 16/4750) und wollte wissen, ob die Bundesregierung bereit sei, թ§Չ-ժԷin Deutschland einen nur der historischen Wahrheit verpflichteten Prozess der Auseinandersetzung mit dem VթԹԳlkermord, insbesondere in Kooperation mit tթԹԶrkischen und armenischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, politisch zu fթԹԳrdern und materiell zu unterstթԹԶtzenթ§Չ-Թ. In der am 03.04.2007 erfolgten Antwort heiթժԴt es: թ§Չ-ժԷDie Bundesregierung begrթԹԶթժԴt alle Initiativen, die der weiteren Aufarbeitung dieser geschichtlichen Ereignisse dienen. Eine Bewertung der Ergebnisse dieser Forschungen sollte durch Historiker unternommen werden. Die Bundesregierung setzt sich in allen GesprթԹ)chen mit Armenien und der TթԹԶrkei regelmթԹ)թժԴig fթԹԶr die AussթԹԳhnung zwischen beiden LթԹ)ndern ein.թ§Չ-Թ
Eine weitaus umfangreichere KA reichte die Linksfraktion am 07.07.2008 (BT-Drucksache 16/9965) ein. թ§Չ-ժԷWelche konkreten Schritte hat die Bundesregierung seit Verabschiedung des Antrags auf Bundestagsdrucksache 15/5689 թ§Չ-ժ❁Erinnerung und Gedenken an die Vertreibung und Massaker an den Armeniern 1915 – Deutschland muss zur VersթԹԳhnung zwischen TթԹԶrken und Armeniern beitragenթ§Չ-Չ§ unternommen, dass zwischen TթԹԶrken und Armeniern durch Aufarbeitung, VersթԹԳhnen und Verzeihen historischer Schuld erreicht wird?թ§Չ-Թ, wollte die Linke wissen. Und wie bereits im April 2007 antwortete die Bundesregierung erneut mit den gleichen Worten: թ§Չ-ժԷDie Bundesregierung begrթԹԶթժԴt alle Initiativen, die der weiteren Aufarbeitung der geschichtlichen Ereignisse von 1915/16 dienen. Eine Bewertung der Ergebnisse dieser Forschungen sollte durch Historiker unternommen werden.թ§Չ-Թ Offenbar arbeitet man im AuswթԹ)rtigen Amt mit Textbausteinen, die bei Bedarf mit einem Klick eingesetzt werden. թ§Չ-ժԷWie steht die Bundesregierung zur anlթԹ)sslich der zentralen Gedenkfeier fթԹԶr die Opfer des Genozids an den Armeniern am 24. April 2008 in der Frankfurter Paulskirche vom Vorsitzenden des Zentralrats der Armenier in Deutschland erhobenen Forderung, թ§Չ-ժԷdass die Leugnung des VթԹԳlkermordes endlich auch hierzulande strafrechtlich verfolgt wirdթ§Չ-Թ, lautete eine weitere Frage der Linksfraktion. թ§Չ-ժԷDie Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Aufarbeitung der tragischen Ereignisse von 1915 bis 1917 in erster Linie Sache der beiden betroffenen LթԹ)nder Armenien und TթԹԶrkei istթ§Չ-Թ, heiթժԴt es in der knappen Antwort der Regierung.
Statt die Position der Bundesregierung zu kritisieren, verbreitete der ZAD-Vorstand am 8. August 2008 eine lange PresseerklթԹ)rung mit der թժberschrift թ§Չ-ժԷPeinliche Diffamierung von Johannes Lepsius durch Die Linkeթ§Չ-Թ, worin die Linke heftig angegriffen wurde, weil sie es gewagt hatte, einige unbequeme Fragen in Zusammenhang mit Johannes Lepsius und der FթԹԳrderung des Lepsiushauses zu stellen. Zu dem, was die Bundesregierung geschrieben hatte, schwieg der ZAD-Vorstand einfach. Es ist erstaunlich, dass es seitens der armenischen Gemeinschaft damals keinerlei Proteste gab – weder auf die Antwort der Bundesregierung, noch auf das Schweigen des ZAD.
Interessante Erkenntnisse zum Thema Lepsiushaus sind ebenfalls den neugierigen, linken Abgeordneten zu verdanken. Auf die Frage, welche konkreten Schritte unternommen wurden, թ§Չ-ժԷum die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung der deutschen Rolle beim VթԹԳlkermord zu fթԹԳrdernթ§Չ-Թ, antwortete die Bundesregierung, dass թ§Չ-ժԷim Rahmen der Bereinigungssitzung der Haushaltsberatungen fթԹԶr das Haushaltsjahr 2008 im Kapitel des Beauftragten der Bundesregierung fթԹԶr Kultur und Medien (Kapitel 0405 Titel 68472 FթԹԳrderung des kulturellen Eigenlebens fremder Volksgruppen) zusթԹ)tzliche Mittel in HթԹԳhe von 300.000 Euro zur FթԹԳrderung des Lepsiushauses in Potsdam eingestelltթ§Չ-Թ wurden. Die wissenschaftliche Aufarbeitung der deutschen Rolle beim VթԹԳlkermord glaubt die Bundesregierung also dadurch fթԹԳrdern zu kթԹԳnnen, indem sie fթԹԶr das Lepsiushaus zur թ§Չ-ժԷFթԹԳrderung des kulturellen Eigenlebens fremder Volksgruppenթ§Չ-Թ bestimmte Mittel zuteilt! Ob der von evangelischen Theologen gelenkte թ§Չ-ժԷFթԹԳrderverein Lepsiushausթ§Չ-Թ nebenbei auch das թ§Չ-ժԷkulturelle Eigenleben fremder Volksgruppenթ§Չ-Թ unterstթԹԶtzt?
Im Vorfeld des 95. Jahrestags des VթԹԳlkermords im Osmanischen Reich hat die Linksfraktion am 10.02.2010 erneut eine KA gestellt (BT-Drucksache 17/687). Darin wird die Bundesregierung gefragt, ob sie die Massaker an den Armeniern 1915/16 eindeutig als VթԹԳlkermord im Sinne der UN-Konvention von 1948 bewertet. Cornelia Pieper, die Staatsministerin im AuswթԹ)rtigen Amt, bediente sich der bereits vorher mehrmals zum Einsatz gekommenen Textbausteine: թ§Չ-ժԷDie Bundesregierung begrթԹԶթժԴt alle Initiativen, die der weiteren Aufarbeitung der geschichtlichen Ereignisse von 1915/16 dienen. Eine Bewertung der Ergebnisse dieser Forschungen sollte Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern vorbehalten bleiben. Dabei ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Aufarbeitung der tragischen Ereignisse von 1915/16 in erster Linie Sache der beiden betroffenen LթԹ)nder TթԹԶrkei und Armenien ist.թ§Չ-Թ
In einem Offenen Brief an die Staatsministerin schreibt die Linksabgeordnete Katrin Werner: թ§Չ-ժԷMit dieser Position vertritt die Bundesregierung ganz unverhohlen den offiziellen Standpunkt der tթԹԶrkischen Regierung, die eine Historikerkommission mit der KlթԹ)rung dieser Frage betrauen mթԹԳchte. Wenn allerdings die deutsche Bundesregierung der Auffassung ist, dass erst noch geklթԹ)rt werden mթԹԶsste, was fթԹԶr eine թԹԶberwթԹ)ltigende Mehrheit in der Wissenschaft lթԹ)ngst Konsens ist, stellt sich mir die Frage nach dem Sinn und Zweck des Bundestagsantrags aus dem Jahr 2005, in dem wenigstens թ§Չ-ժ❁die organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniernթ§Չ-Չ§ (BT-Drucksache 15/5689) bedauert wurde. Im Kern entwertet die Bundesregierung damit den seinerzeit einstimmig beschlossenen Antrag, wenn sie plթԹԳtzlich meint, dass Historiker entgegen den umfangreichen empirisch gesicherten Fakten neu darթԹԶber befinden sollten, ob eben diese historische Tatsachen թԹԶberhaupt zutrթԹ)fen.թ§Չ-Թ Von einer թ§Չ-ժԷplթԹԳtzlichenթ§Չ-Թ թժbernahme des offiziellen tթԹԶrkischen Standpunkts durch die Bundesregierung kann keine Rede sein, denn aus allen Antworten der Bundesregierung auf vorherige KA der Linksfraktion wird bereits deutlich, dass das Verbrechen an den Armeniern nicht als VթԹԳlkermord bewertet wird.
VթԹԳllig zutreffend nennt Katrin Werner die Haltung der Bundesregierung թ§Չ-ժeinen offenen Schlag gegen die armenische Gemeinschaft in Deutschland, die bis heute verzweifelt darum ringt, dass ihr tragisches Schicksal endlich als historische Tatsache anerkannt wird.թ§Չ-Թ Hier stellt sich allerdings die Frage, ob die armenischen VerbթԹ)nde nach 2005 wirklich dafթԹԶr eingetreten sind, dass der Bundestag den VթԹԳlkermord fթԹԳrmlich anerkennt. War es nicht eher so, dass sie den Bundestagsbeschluss als eine Anerkennung des VթԹԳlkermords interpretiert haben?
Es bleibt zu hoffen, dass die Armenier nach dem թ§Չ-ժԷoffenen Schlagթ§Չ-Թ des AuswթԹ)rtigen Amts endlich aufwachen und erkennen, dass Deutschland eine neue թ§Չ-ժԷunrթԹԶhmliche Rolleթ§Չ-Թ spielt – wieder nach tթԹԶrkischem Drehbuch.
Toros Sarian
17.03.2010
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