Der Krieg um Berg-Karabach – oder: Warum “NeutralitթƒԹ)t” Parteinahme ist

In der Berichterstattung der deutschen Leitmedien թƒԹԶber den wieder aufgeflammten Krieg um Berg-Karabach dominiert eine Pseudo-ObjektivitթƒԹ)t, die de facto auf eine թƒժ“bernahme des aserbaidschanischen Narrativs hinauslթƒԹ)uft. Die Fakten sind aber deutlich komplizierter

“Viele versuchen dem Radikalismus zu entgehen, indem sie ‘die Wahrheit in der Mitte suchen’. Das klingt einigermaթƒժԴen abgeklթƒԹ)rt, ist aber nicht unbedingt aufgeklթƒԹ)rt. Denn die Wahrheit folgt keinen geometrischen Vorgaben. Hier irrt sich der ‘Extremismus der Mitte’.” SթƒԹ)tze von Michael Schmidt-Salomon, die exakt auf die aktuelle Berichterstattung der deutschen Medien թƒԹԶber den am 27. September wieder aufgetauten kriegerischen Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach (armenisch: Arzach) gemթƒԹԶnzt sein kթƒԹԳnnten!

Seit die KթƒԹ)mpfe vor drei Wochen wieder aufflammten, kommt besonders in den թƒԹԳffentlich-rechtlichen Medien fast kein Bericht թƒԹԶber die aktuelle Lage ohne drei gratis mitgelieferte Kommentare aus:

  1. “Die Region Berg-Karabach wird mehrheitlich von armenisch-stթƒԹ)mmigen Menschen bewohnt, gehթƒԹԳrt vթƒԹԳlkerrechtlich aber zu Aserbaidschan.”
  2. “Armenien und Aserbaidschan werfen sich gegenseitig vor …”
  3. “Das թƒԹԶberwiegend muslimische Aserbaidschan wird von der TթƒԹԶrkei unterstթƒԹԶtzt, das թƒԹԶberwiegend christliche Armenien von Russland.”

Drei SթƒԹ)tze – und fast alles falsch! Bis auf die Tatsache, dass Aserbaidschan – massiv – von der TթƒԹԶrkei unterstթƒԹԶtzt wird. Daher hier zunթƒԹ)chst drei kurze Richtigstellungen, bevor die ausfթƒԹԶhrlichen BegrթƒԹԶndungen folgen.

  • Berg-Karabach wird nicht von “armenisch-stթƒԹ)mmigen Menschen” bewohnt, sondern von Armeniern. Die Region hat sich im Herbst 1991 in voller թƒժ“bereinstimmung mit dem damals geltenden sowjetischen Recht von der Sowjetrepublik Aserbaidschan getrennt und ist seit dem Zerfall der Sowjetunion ein unabhթƒԹ)ngiger – wenn auch bislang von niemandem anerkannter – Staat: die, wie sie sich seit 2017 offiziell nennt, Republik Arzach.
  • Beim gegenwթƒԹ)rtigen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan handelt es sich nicht um einen Konflikt zwischen zwei gleich starken – gar gleich schuldigen – Gegnern. Vielmehr spricht alles dafթƒԹԶr, dass die KթƒԹ)mpfe von Aserbaidschan initiiert wurden.
  • WթƒԹ)hrend die TթƒԹԶrkei Aserbaidschan massiv militթƒԹ)risch, logistisch und vor allem durch das Einschleusen islamistischer SթƒԹԳldnertruppen aus Syrien (mթƒԹԳglicherweise auch aus Libyen) unterstթƒԹԶtzt, hat Russland – durchaus zum Leidwesen der Armenier – bislang weder direkt noch indirekt in die Kampfhandlungen eingegriffen.

Nagorny Karabach und Armenien

Berg-Karabach ist eine im թƒԹԳstlichen SթƒԹԶdkaukasus zwischen der heutigen Republik Armenien im Westen, der Republik Aserbaidschan im Osten und dem Iran im SթƒԹԶden gelegene Bergregion ungefթƒԹ)hr von der doppelten GrթƒԹԳթƒժԴe des Saarlands, die seit Jahrhunderten թƒԹԶberwiegend von Armeniern bewohnt und, wie nicht zuletzt die zahlreichen uralten Kirchen und KlթƒԹԳster augenfթƒԹ)llig machen, kulturell geprթƒԹ)gt ist. GegenwթƒԹ)rtig leben dort knapp 150.000 Armenier.

Anfang des 19. Jahrhunderts, nach dem russisch-persischen Krieg, fiel das Gebiet unter die Herrschaft des russischen Zaren. Allerdings wurde Nagorny Karabach, wie es auf Russisch heiթƒժԴt, nicht dem seit 1828 unter russischer Herrschaft befindlichen Ostarmenien, dem “Gouvernement Eriwan” – geographisch in weiten Teilen identisch mit der heutigen Republik Armenien – zugeschlagen. Bereits der Zar strebte danach, ethnisch eindeutige Mehrheitsgebiete zu verhindern und gliederte daher – “Teile und herrsche!” – die Region Berg-Karabach dem mehrheitlich von Aseris bewohnten Gouvernement Jelisawetpol (heute: Gթ‰Չ„§ncթ‰Չ„§) an, das nach der Oktoberrevolution Anfang der zwanziger Jahre Teil der Sowjetrepublik Aserbaidschan wurde.

Die in Ostanatolien und anderen Teilen des osmanischen Reichs lebenden Westarmenier wurden im 19. Jahrhundert mehrfach Opfer schlimmster regierungsamtlich gefթƒԹԳrderter Pogrome und Massaker – allein zwischen 1894 und 1896 wurden unter der Herrschaft von Sultan Abdul Hamid II. bis zu 300.000 Armenier von der osmanischen Obrigkeit und mit ihr verbթƒԹԶndeten kurdischen Hamidiye-Banden ermordet -, bevor 1915 das “Komitee fթƒԹԶr Einheit und Fortschritt” (թ„Թ՛ttihat) der sogenannten JungtթƒԹԶrken im Schatten des I. Weltkriegs mit stillschweigender Billigung der Regierung des deutschen Reichs einen bis heute von der TթƒԹԶrkei nicht anerkannten Genozid an der armenischen BevթƒԹԳlkerung verթƒԹԶbte, dem bis zu anderthalb Millionen Armenier zum Opfer fielen – die Mehrheit von ihnen wurde auf TodesmթƒԹ)rschen buchstթƒԹ)blich in die mesopotamische WթƒԹԶste getrieben – und den sich spթƒԹ)ter Hitler zum Vorbild fթƒԹԶr die Ermordung der europթƒԹ)ischen Juden nahm.

Dieser erste europթƒԹ)ische Genozid in der Geschichte des XX. Jahrhunderts und dessen Leugnung bis auf den heutigen Tag durch die Nachfahren der TթƒԹ)ter sind seitdem das Trauma aller Armenier, wo auch immer sie auf der Welt leben, und es gibt keine armenische Familie, die nicht Opfer zu beklagen hթƒԹ)tte.

“VթƒԹԳlkerrecht”: WillkթƒԹԶrlich gezogene Grenzen …

Den թƒԹԶberlebenden Armeniern in den թƒԹԳstlichen Siedlungsgebieten, denen im August 1920 im (niemals ratifizierten) Friedensvertrag von SթƒԹ—vres ein Phantasiereich zugesprochen worden war, das sie nie in Besitz nehmen sollten, blieb nur noch die Wahl zwischen den verhassten Bolschewiki und den noch verhassteren TթƒԹԶrken. Am 5. Juli 1921 beschloss das “Transkaukasische Komitee” der jungen Sowjetunion unter Vorsitz des Volkskommissars fթƒԹԶr NationalitթƒԹ)tenfragen, Josif Stalin, den Anschluss Nagorny-Karabachs gegen den Willen der lokalen BevթƒԹԳlkerung, die zu diesem Zeitpunkt zu 94 Prozent aus Armeniern bestand, an die Sowjetrepublik Aserbaidschan – nachdem dasselbe Komitee noch einen Tag zuvor (in Abwesenheit des spթƒԹ)teren Diktators) den Beschluss gefasst hatte, das Gebiet der armenischen Sowjetrepublik anzuschlieթƒժԴen!

Ganze 24 Stunden hatte die Region zu Armenien gehթƒԹԳrt. Aber wie fթƒԹԶr die Zaren ein Jahrhundert zuvor, war es auch Stalins Ziel, die kaukasischen VթƒԹԳlker gegeneinander auszuspielen. Seitdem bildete Nagorny Karabach fast die gesamte folgende Sowjetepoche թƒԹԶber einen Autonomen Oblast (NKAO) innerhalb der Aserbaidschanischen SSR.

Ende der 1980er Jahre, zur Zeit von Gorbatschows Perestroika, gerieten die Dinge in Bewegung. Im Februar und im November 1988 sowie im Januar 1989 kam es in den aserbaidschanischen StթƒԹ)dten Sumgait, Kirowabad (heute: Gթ‰Չ„§ncթ‰Չ„§) und in der Hauptstadt Baku zu blutigen antiarmenischen Pogromen, bei denen insgesamt mehrere hundert Armenier von gewalttթƒԹ)tigen Mobs auf offener StraթƒժԴe und in ihren HթƒԹ)usern massakriert wurden.

Im November 1988 war mit ersten Massenfluchten aus dem nթƒԹԳrdlichen Berg-Karabach ins benachbarte Armenien die Logik der “ethnischen SթƒԹ)uberungen” langsam in Gang gekommen. Sie nahm schnell an Fahrt auf: Nach den Pogromen in Baku flohen um die 300.000 Armenier aus Aserbaidschan ins benachbarte Armenien und andere Sowjetrepubliken und 200.000 in Armenien lebende Aseris nach Aserbaidschan. Es begannen Kampfhandlungen zwischen bewaffneten Einheiten Aserbaidschans auf der einen und Armeniern – aus der gleichnamigen Sowjetrepublik und Karabach – auf der anderen Seite. Die Moskauer Zentralgewalt, die Truppen schickte, konnte den Konflikt bestenfalls zeitweise eindթƒԹ)mmen.

Als dann am 30. August 1991 die aserbaidschanische SSR sich fթƒԹԶr unabhթƒԹ)ngig und ihren Austritt aus der Sowjetunion erklթƒԹ)rte, spaltete sich drei Tage spթƒԹ)ter, am 2. September, der Autonome Oblast Nagorny Karabach von Aserbaidschan, das diese Region zudem jahrzehntelang թƒԹԳkonomisch stark vernachlթƒԹ)ssigt hatte, ab und erklթƒԹ)rte sich zur unabhթƒԹ)ngigen Sowjetrepublik innerhalb der damals noch existierenden UdSSR.

Karabach berief sich dabei auf das am 3. April des Vorjahres erlassene Unionsgesetz “թƒժ“ber das Verfahren der Entscheidung von Fragen, die mit dem Austritt einer Unionsrepublik verbunden sind”, das in einer Schutzklausel jedem Autonomen Gebiet das Recht einrթƒԹ)umte, sich von einer neugegrթƒԹԶndeten ehemaligen Sowjetrepublik loszulթƒԹԳsen. BestթƒԹ)tigt wurde dies am 10. Dezember 1991 durch die BevթƒԹԳlkerung Berg-Karabachs, die in einem Referendum, an dem 82,2 Prozent der Bewohner teilnehmen, mit 99,89 Prozent der abgegebenen Stimmen fթƒԹԶr die Sezession von Aserbaidschan stimmte.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion Ende 1991 mutierte der innerstaatliche Konflikt zwischen Armeniern und Aseris zu einem zwischenstaatlichen Krieg, der Mitte 1994 mit einem De-facto-Sieg Armeniens, das seitdem Schutzmacht Karabachs ist und aus strategischen GrթƒԹԶnden sieben Anrainerprovinzen als Pufferzone besetzt hթƒԹ)lt, vorerst endete. Genauer gesagt: Der Konflikt wurde eingefroren. Am 12. Mai 1994 unterzeichneten die kriegfթƒԹԶhrenden Parteien in Moskau ein Waffenstillstandsabkommen. Der Krieg im SթƒԹԶdkaukasus hatte Zehntausenden Menschen das Leben gekostet, von beiden Seiten waren – auch das gehթƒԹԳrt zur Wahrheit – Massaker an der ZivilbevթƒԹԳlkerung verթƒԹԶbt worden und die bis dato in Karabach lebenden Aseris mussten ihre Heimat Richtung Aserbaidschan verlassen, wo die Mehrheit von ihnen seitdem in FlթƒԹԶchtlingscamps vegetiert.

Kurz: Stalins bթƒԹԳse Saat war Jahrzehnte spթƒԹ)ter tatsթƒԹ)chlich aufgegangen!

… werden posthum legitimiert!

Und dies gilt bis auf den heutigen Tag, denn die zum Teil willkթƒԹԶrlich gezogenen Grenzen der damaligen Sowjetrepubliken wurden nach dem Zerfall der UdSSR unter Ausblendung des Unionsgesetzes vom April 1990 “vթƒԹԳlkerrechtlich” legitimiert. Dass damit das geltende VթƒԹԳlkerrecht, genauer: dessen voluntaristische Interpretation, zum posthumen Apologeten stalinistischen Unrechts mutierte – Analoges gilt ja auch fթƒԹԶr Chruschtschows WillkթƒԹԶrakt der “Schenkung” der Krim an die Ukrainische SSR -, dies ist eine besonders schrթƒԹ)ge Kapriole der Geschichte, die niemals angemessen thematisiert, geschweige denn aufgearbeitet wurde.

Aber das im VթƒԹԳlkerrecht angelegte – und nie befriedigend zu lթƒԹԳsende – SpannungsverhթƒԹ)ltnis zwischen staatlicher SouverթƒԹ)nitթƒԹ)t und dem Selbstbestimmungsrecht der VթƒԹԳlker wird bekanntlich spթƒԹ)testens seit dem Kosovokrieg und der Anerkennung der ehemals autonomen Provinz in Jugoslawien als Staat durch den Westen von den groթƒժԴen weltpolitischen Playern eh stets so ausgelegt, wie es ihnen geopolitisch gerade in den Kram passt!

Halten wir fest: Die Abspaltung Berg-Karabachs war nicht nur legitim, sie war legal, denn sie vollzog sich konform zum damals geltenden sowjetischen Staatsrecht. Wenn unsere Medien nahezu unisono gebetsmթƒԹԶhlenartig und pseudo-objektiv wiederholen, Karabach gehթƒԹԳre “vթƒԹԳlkerrechtlich zu Aserbaidschan”, so bedienen sie damit den aserbaidschanischen Narrativ, sprich: sie nehmen – bewusst oder unbewusst – subkutan Partei fթƒԹԶr Aserbaidschan.

“Bothsideism”: Die falsche NeutralitթƒԹ)t

Die pseudoneutrale Berichterstattung in den meisten deutschen QualitթƒԹ)ts- und auch einigen Alternativmedien bedient sich eines Tricks, den man neumodisch mit einem nicht besonders schթƒԹԳnen, aber eingթƒԹ)ngigen Wort als “Bothsideism” bezeichnen kթƒԹԳnnte. Das heiթƒժԴt: Man verwendet Argumentationsmuster und Formulierungen, die suggerieren, hier wթƒԹԶrden zwei gleichrangige, vor allem: gleich schuldige Kontrahenten mit vergleichbar starken Waffensystemen einander attackieren. Der beliebteste Satz lautet entsprechend: “Armenien und Aserbaidschan werfen sich gegenseitig vor …” Hier muss einiges geradegerթƒԹԶckt werden.

Bereits die BevթƒԹԳlkerungszahlen sprechen fթƒԹԶr sich: In Aserbaidschan leben um die zehn Millionen Menschen, in Armenien knapp drei Millionen und in Karabach/Arzach, wie erwթƒԹ)hnt, knapp 150.000. Aserbaidschan ist dank sprudelnder ErdթƒԹԳlquellen und gewaltiger Gasfelder ein sehr reiches Land – was allerdings nicht bedeutet, dass der Reichtum auch der BevթƒԹԳlkerungsmehrheit zugute kթƒԹ)me. Armenien und erst recht Arzach verfթƒԹԶgen dagegen kaum թƒԹԶber nennenswerte BodenschթƒԹ)tze. “Hayastan – Karastan” (“Armenien – Land der Steine”) lautet bezeichnenderweise ein bekanntes armenisches Sprichwort.

Beide von Armeniern bewohnten LթƒԹ)nder sind arm – was sich natթƒԹԶrlich nicht zuletzt auf den RթƒԹԶstungshaushalt und damit auf die Ausstattung der StreitkrթƒԹ)fte auswirkt. Bereits im Krieg Anfang der 1990er Jahre waren die Armenier, was TruppenstթƒԹ)rke wie QuantitթƒԹ)t und QualitթƒԹ)t der Waffensysteme angeht, den hochgerթƒԹԶsteten Aserbaidschanern hoffnungslos unterlegen. (Den Armeniern gelang es dennoch, den Konflikt zu ihren Gunsten zu entscheiden.) In den letzten Jahren hat Aserbaidschan mithilfe feudaler Petrodollareinnahmen massiv aufgerթƒԹԶstet: Zwischen 2009 und 2018 betrugen die Ausgaben fթƒԹԶr das MilitթƒԹ)r umgerechnet 24 Milliarden US-Dollar, wթƒԹ)hrend Armenien im gleichen Zeitraum vier Milliarden US-Dollar fթƒԹԶr die RթƒԹԶstung ausgab. Mittlerweile ist der aserbaidschanische MilitթƒԹ)retat ungefթƒԹ)hr so groթƒժԴ wie der gesamte Staatshaushalt Armeniens.

Auch die Gesellschaftssysteme sind vթƒԹԳllig kontrթƒԹ)r: Aserbaidschan wird regiert von einer kleptokratischen Clique, dem Aliyev-Clan, der seit 1993 das Land despotisch beherrscht, Oppositionelle mundtot macht und mit Hilfe der թƒԹԶppigen ErdթƒԹԳlerlթƒԹԳse auch die Stimmung in der EuropթƒԹ)ischen Union zu beeinflussen sucht. Einige korrupte deutsche Politiker/innen lieթƒժԴen sich bereits erfolgreich fթƒԹԶr die proaserbaidschanische Propaganda einspannen. Armenien dagegen erlebt seit der friedlichen, von der թƒԹԶberwթƒԹ)ltigenden Mehrheit der BevթƒԹԳlkerung getragenen “samtenen Revolution” vom FrթƒԹԶhjahr 2018 einen demokratischen Aufschwung. Das Land ist dabei, sich von den alten korrupten Strukturen zu befreien. Mangels BodenschթƒԹ)tze beginnt es, in die KթƒԹԳpfe der Menschen zu investieren, in Digitalisierung und IT.

Bezogen auf Karabach haben die Armenier beider LթƒԹ)nder nur ein Interesse: die Sicherung des Status quo und – mittelfristig – die internationale Anerkennung als selbstթƒԹ)ndiger Staat. Zu glauben (oder zu suggerieren), ausgerechnet das kleine Arzach habe das hochgerթƒԹԶstete Aserbaidschan zu dem neuen kriegerischen Konflikt provoziert, ist daher absurd!

Erdoթ„ժԴan eskaliert – Moskau mahnt

Kommen wir zum letzten Mantra unserer Leitmedien, der Behauptung, Aserbaidschan werde von der TթƒԹԶrkei, Armenien dagegen von Russland unterstթƒԹԶtzt. Dieser Satz ist wahr und falsch zugleich.

Wahr ist er in Bezug auf die TթƒԹԶrkei, die das turkstթƒԹ)mmige Aserbaidschan als Brudervolk – “Eine Nation, zwei Staaten” – und BrթƒԹԶcke zur Realisierung weitausgreifender neo-osmanischer TrթƒԹ)ume betrachtet. TrթƒԹ)ume, denen das christliche Armenien schon geographisch im Wege steht. Die TթƒԹԶrkei beliefert Aserbaidschan mit modernster MilitթƒԹ)rtechnologie, unter anderem mit Mehrfachraketenwerfern und Kampfdrohnen, in die auch deutsche RթƒԹԶstungs-Hightech miteinfloss. TթƒԹԶrkische F-16-Kampfflugzeuge operieren seit Beginn des Krieges von der 65 Kilometer թƒԹԳstlich von Armenien entfernten Luftbasis Gթ‰Չ„§ncթ‰Չ„§ aus, auf die sie wթƒԹ)hrend aserbaidschanisch-tթƒԹԶrkischer ManթƒԹԳver im vergangenen August verlegt worden waren.

Aber das mit Abstand Alarmierendste ist: Die TթƒԹԶrkei finanziert dschihadistische SթƒԹԳldnertruppen – die Rede ist von mehreren tausend FreischթƒԹ)rlern – aus Syrien und mթƒԹԳglicherweise jetzt auch Taliban aus den Bergen Afghanistans, die an der Grenze zu Karabach an vorderster Front kթƒԹ)mpfen! Mit einem Wort: Ohne massive RթƒԹԶckendeckung durch den GroթƒժԴen Bruder am Bosporus hթƒԹ)tte Aserbaidschan die Kampfhandlungen mit Sicherheit nicht begonnen.

Aserbaidschan wird allerdings nicht nur von der TթƒԹԶrkei militթƒԹ)risch unterstթƒԹԶtzt, mit Waffen beliefert wird es auch von Israel und – Russland! So ist denn der Standardsatz, das christliche Armenien werde von Russland unterstթƒԹԶtzt, noch nicht mal zur HթƒԹ)lfte richtig. Russland hat zwar um die 4000 Soldaten in Armenien stationiert, es beliefert Armenien ebenfalls mit Waffen und Russland ist die fթƒԹԶhrende MilitթƒԹ)rmacht in der Organisation des Vertrags fթƒԹԶr kollektive Sicherheit (OVKS), der Armenien gleichfalls angehթƒԹԳrt. Moskau hat aber bereits verlauten lassen, fթƒԹԶr Angriffe auf Karabach wթƒԹԶrde der BթƒԹԶndnisfall nicht gelten, da das dieses Gebiet nicht Mitglied der OVKS sei.

Ob Russland allerdings selbst im Falle schwerer Angriffe auf armenisches Kernland – zu Drohnenoperationen թƒԹԶber armenischem Staatsgebiet ist es bereits gekommen – zu einem militթƒԹ)rischen Eingreifen bereit wթƒԹ)re, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. SchlieթƒժԴlich wթƒԹ)re Russland dann, zumindest indirekt, in Kampfhandlungen mit dem NATO-Land TթƒԹԶrkei verstrickt. Die mթƒԹԳglichen Folgen wթƒԹ)ren nicht auszudenken!

Dies mag aus russischer Sicht nachvollziehbar sein. Die Armenier allerdings fթƒԹԶhlen sich von allen Seiten im Stich gelassen: Von Russland, das bislang lediglich auf einen Waffenstillstand drթƒԹ)ngte, der sich sofort als brթƒԹԶchig erwies, und dann zu einem vorթƒԹԶbergehenden “humanitթƒԹ)ren Waffenstillstand” wurde, wie vom Westen, der keinen Finger ernsthaft krumm macht, den NATO-Partner mit den groթƒժԴtթƒԹԶrkischen Ambitionen vom ZթƒԹԶndeln mit dem Feuer abzuhalten. Die durch den Genozid schwer traumatisierten Armenier haben bitter lernen mթƒԹԶssen, dass sie sich, wenn es Spitz auf Knauf steht, nur auf einen einzigen Akteur wirklich verlassen kթƒԹԳnnen: auf sich selber!

Und diesmal kթƒԹԳnnte es wirklich ernst werden. In Aserbaischan und erst recht in der hinter ihm stehenden TթƒԹԶrkei scheint man nun “NթƒԹ)gel mit KթƒԹԳpfen” machen zu wollen. Aliyev hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er den Konflikt mit Armenien erst mit der RթƒԹԶckeroberung Karabachs fթƒԹԶr beendet ansieht. Nein, nicht nur das: Er lieթƒժԴ bereits durchblicken, dass er es auch auf Jerewan abgesehen hat.

Den Armeniern in der Republik Arzach droht im Falle einer Invasion Aserbaidschans im “gթƒԹԶnstigsten” Falle eine brutale Massenvertreibung inclusive einer Vernichtung der jahrhundertealten armenischen KulturgթƒԹԶter wie bereits in Nachitschewan und Ostanatolien. Es ist aber durchaus im Bereich des MթƒԹԳglichen, dass aserbaidschanische Truppen im Verbund mit dschihadistischen SթƒԹԳldnern und unterstթƒԹԶtzt vom groթƒժԴen neo-osmanischen Bruder dann beginnen werden, das Werk der JungtթƒԹԶrken von 1915 zu vollenden. Sie werden sich, fթƒԹ)llt man ihnen nicht in den Arm, sehr wahrscheinlich auf Arzach nicht beschrթƒԹ)nken!

Vor genau 105 Jahren hat die Welt schon einmal tatenlos zugesehen.

Dr. Leo Ensel (“Look at the other side!”) ist Konfliktforscher und interkultureller Trainer mit Schwerpunkt “Postsowjetischer Raum und Mittel-/Ost-Europa”. VerթƒԹԳffentlichungen zu den Themen “Angst und atomare AufrթƒԹԶstung”, zur Sozialpsychologie der Wiedervereinigung sowie Studien թƒԹԶber die Deutschlandbilder im pstsowjetischen Raum. Im Neuen West-Ost-Konflikt gilt sein Hauptanliegen der թƒժ“berwindung falscher Narrative, der Deeskalation und der Rekonstruktion des Vertrauens.

(Leo Ensel)

www.heise.de

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