
In letzter Zeit wird in der Berichterstattung zum Karabach-Konflikt eine Tendenz in den Medien deutlich, die darauf abzielt die թԹԳffentliche Wahrnehmung dieser Frage mehr oder weniger offen im Sinne Aserbaidschans zu beeinflussen. An die Armenier, die zwischen 1988 und 1991 bei Pogromen in Sumgait, Baku, Kirowabad und anderen aserbaidschanischen StթԹ)dten ermordet wurden, erinnert sich die թՉffentlichkeit im Westen kaum noch. թժber die Ursachen und HintergrթԹԶnde des Konflikts um Berg-Karabach, bei dem թԹԶber 30.000 Menschen getթԹԳtet wurden, ist ebenfalls wenig bekannt.
SelbstverstթԹ)ndlich kann es verschiedene, sehr unterschiedliche Standpunkte in der Karabach-Frage geben. Manche vertreten eine Position, die der Politik der armenischen Regierung entgegenkommt oder mit ihr թԹԶbereinstimmt; andere wiederum vertreten eine Position, die der eher der aserbaidschanischen Sicht entspricht. Es ist vթԹԳllig normal, dass es in einem solchen Konflikt unterschiedliche Meinungen existieren. Bestimmten Personen und Kreisen in Deutschland geht es aber offenbar gar nicht darum, in der Karabach-Frage LթԹԳsungsvorschlթԹ)ge aufzuzeigen, die gleichermaթժԴen fթԹԶr Armenier und Aserbaidschaner akzeptabel wթԹ)ren. Ihnen geht es in erster Linie auch nicht darum, nur offen und ehrlich ihre Zustimmung fթԹԶr die von Baku vertretene Position zu bekunden. Vielmehr ist ihnen daran gelegen, ein positives Bild von den wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen VerhթԹ)ltnissen in der Republik Aserbaidschan zu verbreiten und so das Image des Aliyew-Regimes aufzupolieren.
թԹ Die Einnahmen aus dem թՉl- und GasgeschթԹ)ft ermթԹԳglichen diesem Regime nicht nur eine massive militթԹ)rische AufrթԹԶstung des Landes, sondern auch eine Lobby zu finanzieren, deren AktivitթԹ)ten im wesentlichen folgende Ziele erreichen sollen: Die թՉffentlichkeit in der Karabach-Frage im Sinne der Regierung in Baku zu beeinflussen, die Republik Armenien und die Armenier als Aggressoren und Besatzer zu diskreditieren und die Republik Aserbaidschan als einen modernen, demokratischen und friedfertigen Staat zu prթԹ)sentieren.թԹ Besonders in Deutschland erweisen sich die Lobby-AktivitթԹ)ten der Republik Aserbaidschan als relativ erfolgreich: Letztes Jahr wurde auf einer Veranstaltung der թ§Չ-ժԷGesellschaft zur FթԹԳrderung der deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen GmbHթ§Չ-ժ, an der drei Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU Fraktion teilnahmen. Im Einladungstext zum թ§Չ-ժԷDiskussionsforumթ§Չ-ժ wurde Armenien nicht nur vorgeworfen eine Okkupationspolitik zu betreiben, sondern auch VթԹԳlkermord verթԹԶbt zu haben und Drogen-, Waffen- und Menschenhandel zu begթԹԶnstigen.
թԹ Das թ§Չ-ժԷInstitut fթԹԶr Turkologie der Freien UniversitթԹ)t Berlinթ§Չ-ժ und das թ§Չ-ժԷDeutsch-Aserbaidschanische Forum e.V.թ§Չ-ժ veranstalteten am 17. Februar 2011 an der Freien UniversitթԹ)t Berlin eine Tagung unter dem Titel թ§Չ-ժԷBergkarabach թ§Չ-ՉBetrachtungen eines թ§Չ-ժ❁frozen conflictsթ§Չ-Չ§թ§Չ-ժ, deren Intention թԹ)hnlich war, wie die Veranstaltung der թ§Չ-ժԷGmbHթ§Չ-ժ. Nur diesmal standen keine Politiker auf dem Podium, sondern Wissenschaftler: Heiko Langner, ein Diplom-Politikwissenschaftler und Dr. Aser Babajew, der Geschichte und Politikwissenschaft studiert hatte. Langer, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Abgeordneten der Partei թ§Չ-ժԷDie Linke tթԹ)tig ist, arbeitete vorher fթԹԶr den tթԹԶrkisch-nationalistischen Bundestagsabgeordneten Prof. Hakki Keskin (թ§Չ-ժԷDie Linke.PDSթ§Չ-ժ). Der linke Professor und sein deutscher Genosse Diether Dehm hatten 2007 թ§Չ-ժԷden bedingungslosen Abzug der Besatzungstruppen Armeniens und die Wiederherstellung der vollen territorialstaatlichen IntegritթԹ)t Aserbaidschansթ§Չ-ժ.[1]թԹ Bei einigen Fraktionskollegen hatte ihre einseitig zugunsten der Republik Aserbaidschan Stellungnahme fթԹԶr VerթԹ)rgerung bei Fraktionskollegen gesorgt, die Botschaft Aserbaidschans aber war begeistert.
թԹ Im Oktober 2010 erschien in der Tageszeitung թ§Չ-ժԷNeues Deutschlandթ§Չ-ժ ein Artikel vonթԹ Langner, der darin von seiner Reise nach Aserbaidschan berichtete.[2]թԹ Nach der lektթԹԶre des Artikels wird klar, warum die Veranstalter den Autor als Referent nominiert haben. Vom wissenschaftlichen Mitarbeiter einer linken Bundestagsabgeordneten, die im Menschenrechtsausschuss sitzt, kթԹԳnnte erwartet werden, dass er besonders aufmerksam und kritisch auf die Lage der Menschenrechte unter dem Aliyew-Regime eingeht. Aber in dem mit թ§Չ-ժԷSelbstbewuթժԴter Kaukasustigerթ§Չ-ժ betitelten Artikel findet sich darթԹԶber kein kritisches Wort. Stattdessen schwթԹ)rmt der Autor von einem Land, das dank seines թՉl- und Gasreichtums wirtschaftlich boomt: թ§Չ-ժԷRekordverdթԹ)chtig war auch das aserbaidschanische Wirtschaftswachstum von weit թԹԶber 20 Prozent թ§Չ-Չ bevor es im Krisenjahr 2009 auf 9,5 Prozent absackte. Doch bereits in diesem Jahr soll das Bruttoinlandsprodukt wieder um rund 18 Prozent zulegen. In der թԹԳl- und gasreichen Republik rollt der Dollar, Arbeitslosigkeit und Armut sind rթԹԶcklթԹ)ufig. Das Wirtschaftssystem des Landes ist durch eine Mischung von staatlichen und privaten Unternehmen gekennzeichnet. Strategisch bedeutsame Bereiche wie eben die ErdթԹԳl- und Erdgasindustrie befinden sich in staatlichem Eigentum oder stehen unter staatlicher Aufsicht. Auch vor Eingriffen in die Privatwirtschaft schreckt die Regierung unter PrթԹ)sident Ilham Aliyew nicht zurթԹԶck, wenn ihr dies notwendig erscheint. Ein Beispiel dafթԹԶr ist die Rekommunalisierung des Personennahverkehrs in der Hauptstadt Baku.թ§Չ-ժ
Nachdem Langner mit diesen SթԹ)tzen das wirtschaftliche Potential Aserbaidschans skizziert und dem Aliyew-Regime nebenbei einen sozialistischen Touch verpasst, weil sie in die Privatwirtschaft eingreift und den Personennahverkehr kommunalisierte, preist er das Land als touristischer Geheimtipp der Zukunft: թ§Չ-ժԷEs besteht kein Zweifel: der Turkstaat mթԹԳchte auf die touristische Landkarte und investiert zu diesem Zweck grթԹԳթժԴere Summen seiner Petrodollars in die Infrastruktur. AuslթԹ)ndisches Kapital und Know-how sind durchaus erwթԹԶnscht. An den HթԹ)ngen des GroթժԴen Kaukasus errichten թԹԳsterreichische Unternehmen beispielsweise ein gigantisches Wintersportzentrum.թ§Չ-ժ
Gegen Ende des Artikels geht der Autor auf das Thema Berg-Karabach ein, das er als թ§Չ-ժԷoffene Wundeթ§Չ-ժ bezeichnet. Hier lթԹ)sst er einen der angeblich noch 20.000 in Baku lebenden Armenier mit dem fiktiven Namen թ§Չ-ժԷLewon Khachatrianթ§Չ-ժ zu Wort kommen. Was dieser mitzuteilen hat, fasst Langner so zusammen: թ§Չ-ժԷDen Krieg um Berg-Karabach hթԹ)tten sie (gemeint sind die Armenier) nur dank einmaliger gթԹԶnstiger UmstթԹ)nde militթԹ)risch gewonnen, թԹԳkonomisch und demografisch habe Armenien jedoch gegen Aserbaidschan lթԹ)ngst verloren. Leute wie Khachatrian dթԹԶrften in den Augen der Diaspora als VerrթԹ)ter an der թ§Չ-ժ❁armenischen Sacheթ§Չ-Չ§ gelten. Denn er wթԹ)re bereit, sich auf das Angebot der aserbaidschanischen Regierung einzulassen, die Berg-Karabach grթԹԳթժԴtmթԹԳgliche Autonomie innerhalb Aserbaidschans zubilligen wթԹԶrde.թ§Չ-ժ Es ist sicher ein reiner Zufall, dass der Armenier թ§Չ-ժԷLewon Khachatrianթ§Չ-ժ all das bestթԹ)tigte, was der Wissenschaftler aus Deutschland auch dachte. Ein wohl noch grթԹԳթժԴerer Zufall wթԹ)re es gewesen, wenn Langner in Baku einen Armenier angetroffen hթԹ)tte, der die թ§Չ-ժԷarmenische Sacheթ§Չ-ժ verteidigt hթԹ)tte.
AuffթԹ)llig und festzuhalten ist: Der wissenschaftliche Mitarbeiter der besonders in Menschenrechtsfragen engagierten Abgeordneten Katrin Werner geht mit keinem einzigen Satz auf die Lage der Menschenrechte in der Republik Aserbaidschan ein. Genauso wenig erfթԹ)hrt der Leser, dass die aserbaidschanische Regierung seine Petrodollars nicht nur in den Ausbau der touristischen Infrastruktur steckt, sondern vor allem in die massive militթԹ)rische AufrթԹԶstung. Die MilitթԹ)r- und RթԹԶstungsausgaben des Aliyew-Regimes haben inzwischen eine HթԹԳhe von 4,46 Milliarden Dollar (8,9 Prozent vom BIP) erreicht. Armeniens MilitթԹ)rausgaben betragenթԹ weniger als zehn Prozent der MilitթԹ)rausgaben Aserbaidschans.[3]
Warum die Redaktion der թ§Չ-ժԷsozialistischen Tageszeitung Neues Deutschlandթ§Չ-ժ einen solch unkritischen Artikel abdruckt, ist eine Frage fթԹԶr sich. Ein Blick in die Berichte von թ§Չ-ժԷamnesty internationalթ§Չ-ժ hթԹ)tte eigentlich genթԹԶgt, um stutzig zu werden.[4]թԹ Vielleicht ist es bei der ND-Redaktion թԹԶblich, alles, was aus der Feder eines թ§Չ-ժԷGenossenթ§Չ-ժ oder eines թ§Չ-ժԷwissenschaftlichen Mitarbeitersթ§Չ-ժ einer als Menschenrechtlerin bekannten Genossin stammt, unhinterfragt zu verթԹԳffentlichten.
Im Gegensatz zu der SchթԹԳnfթԹ)rberei Heiko Langners,թԹ ergibt sich aus einem langen, kritischen Bericht unter der թժberschrift թ§Չ-ժԷzwischen Menschenrechen und Realpolitik թ§Չ-Չ Wie soll Europa mit despotischen Regimen umgehen?թ§Չ-ժ ein ganz anderes Bild. Darin wird festgestellt, dass der heutige PrթԹ)sident 2003 թ§Չ-ժԷbei einer von der OSZE als nicht frei und als unfair eingestuften Wahl zum PrթԹ)sidenten bestimmtթ§Չ-ժ wurde. Die Menschen in Aserbaidschan wթԹԶrden sich vom Westen in Stich gelassen fթԹԶhlen: թ§Չ-ժԷIn der Wahrnehmung vieler Aserbaidschaner, die ihrer Regierung gegenթԹԶber kritisch eingestellt sind, ist das Verhalten der EU und Deutschlands gelinde gesagt sehr moderat. Junge Studenten wie Aziz թԹ)uթժԴern die Hoffnung, die EU werde gegen Alijew und seine Mitstreiter Sanktionen wie gegen WeiթժԴrusslands despotischen PrթԹ)sidenten Alexander Lukaschenko verhթԹ)ngen. թՉltere Journalisten zeigen dagegen offen EnttթԹ)uschung. Die EU und Deutschland wթԹԶrden zwar demokratische Werte predigen, aber nicht konsequent auf nachweisbare EinschrթԹ)nkungen der Presse- und Meinungsfreiheit reagieren.թ§Չ-ժթԹ [5]
In den bei Wikileaks verթԹԳffentlichten Dokumenten թԹԶber das von Aliyew und seinem Clan beherrschten land wird das bestթԹ)tigt, was nicht nur allen BթԹԶrgern der Republik Aserbaidschan mehr oder weniger bekannt ist, sondern auch Menschenrechtlern und politischen Experten. թ§Չ-ժԷBeobachter in Baku notieren oft, das heutige Aserbaidschan werde in einer թԹ)hnlichen Weise beherrscht, wie Europa in Zeiten des Feudalismus im Mittelalterթ§Չ-ժ,թԹ meldete die US-Botschaft nach Washington.[6]
Bleibt nur zu hoffen, dass die Abgeordnete Katrin Werner sich die Frage stellt, ob sie sich einenթԹ wissenschaftlichen Mitarbeiter leisten kann, der von թ§Չ-ժԷSonnenstrթԹ)nden und Wintersportթ§Չ-ժ berichtet, nichts hingegen թԹԶber die allgemein bekannten Menschenrechtsverletzungen, die unter der Herrschaft von Aliyew an der Tagesordnung sind. Und vielleicht begutachtet die Redaktion der թ§Չ-ժԷsozialistische Tageszeitung Neues Deutschlandթ§Չ-ժ die von թ§Չ-ժԷGenossinnen und Genossenթ§Չ-ժ eingereichten Artikel etwas kritischer, damit ihre Leser die wahren VerhթԹ)ltnisse in despotisch regierten LթԹ)ndern kennenlernen.
թԹ armenieninfo.net
Toros Sarian
26.02.2011
photo by a1plus.am
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