Die Einladung von Erika Steinbach als Rednerin zum Gedenktag des VթԹԳlkermordes an den Armeniern in der Frankfurter Paulskirche ist hթԹԳchst bemerkenswert.
Sie ist Mitglied des Bundestagsfraktion der CDU, Sprecherin fթԹԶr Menschenrechte und HumanitթԹ)re Hilfe und darթԹԶber hinaus ist sie zur FթԹԶrsprecherin der Christen in islamischen LթԹ)ndern geworden. Seit 1998 ist sie PrթԹ)sidentin des Bundes der Vertriebenen und die Vorsitzende des Zentrums gegen Vertreibungen.
Bis hierher ist alles wunderbar. Jetzt mթԹԳchte ich die unterschiedlichen Ebenen meiner gespeicherten Bilder in meinem Kopf und das Bild von Erika Steinbach beschreiben und in einen diskursiven Kontext stellen.
Als ich in meinem politischen, wissenschaftlichen, polnischen und jթԹԶdischen Umfeld erzթԹ)hlte, dass der Zentralrat der Armenier in Deutschland (ZAD) Erika Steinbach zur Gedenkfeier einlթԹ)dt, war die Reaktion nicht positiv, eher verwundert, fragwթԹԶrdig. Das liegt daran, dass ich mich in kritischen Kreisen bewege und in diesem Umfeld herrschen Distanz und Ablehnung gegenթԹԶber Erika Steinbach. Sie agiert und produziert ein widersprթԹԶchliches Bild und Diskurs zur Politik der Bundesrepublik Deutschland zu ihrem Nachbarn Polen und Tschechien.թԹ
Die erste Ebene meiner Empfindlichkeit ist: Mein Mann trթԹ)gt einen polnischen Namen. Mein Schwiegervater war zehn Jahre alt, als er vor den anrթԹԶckenden Sowjets aus Pommern fliehen musste. Die Ankunft und die Ansiedlung im Nachkriegsdeutschland waren nicht leicht. Sein Hab und Gut aus der Heimat besteht aus drei vergilbten Bildern und Kindheitserinnerungen. Er hat alles zurթԹԶck lassen mթԹԶssen. Trotzt der Vertreibung und des Verlusts der Heimat ist ihm bewusst, dass manche der Vertriebenen ihre Ansiedlung in der BRD vergolden lieթժԴen und manche immer noch nach Kriegsende und Millionen von Toten die Geschichte politisch missbrauchen. Inzwischen թԹԶber 80, stellt er seine Wurst immer noch selber her. Meine polnischen GթԹ)ste sind jedes Mal begeistert,
weil die Wurst von meinem Schwiegervater genauso schmeckt, wie zu Hause in Polen. Vor ein paar Jahren haben seine drei SթԹԳhne den Vater dazu gebracht, den Weg in die Heimat zu suchen, widerwillig. Er erkannte das Gutshaus, in dem er geboren wurde erst durch die alten Silos wieder; das Haus stand nicht mehr, aber zu seiner Verwunderung gab es die alten GrթԹ)ber auf dem Waldfriedhof noch.
Mein Mann bezeichnet sich selbst als ein Grenzkind. Gestern war er Pole und heute ist er Deutscher. Wenn die Grenze wieder verschoben wird, wird er wieder Pole sein. In einem Punkt ist er sehr eigen, wenn man seinen polnischen Adelsnamen mit dem des preuթժԴischen Adels verwechselt, dann kann er wunderbar aus dem Rahmen fallen. Aber wo er jetzt langsam in die Jahre kommt, denkt er darթԹԶber nach, sich eines Tages in Polen begraben zu lassen.
Auf der politischen Ebene, wird jeder Antrag, jede Aussage, jede Begegnung der Vereine mit dem թԹԳffentlichen Erscheinungsbild des ZAD gemessen.
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Unsere Tochter besucht die deutsch-polnische katholische Schule in Berlin; entsprechend bevթԹԳlkern MitschթԹԶler aus der Klasse meinen KթԹԶchentisch: Deutsche, Katholiken aus Afrika und Asien, Polen, Kaschuben und Schlesier. Die schlesischen Kinder vertilgen bei mir Berge von KթԹԳfte, Dolma und gefթԹԶhlte BթԹԳrek-Taschen mit SchafskթԹ)se, KartoffelpթԹԶree und Pastirma und erzթԹ)hlen, dass sie weder polnisch noch deutsch sind. Sie sind Schlesier. Es entsteht auթժԴerhalb unseres Blickwinkels eine unabhթԹ)ngige IdentitթԹ)t, ohne sich von der polnischen oder der deutschen vereinnahmen zu lassen.
Die zweite Ebene des Bildes ist Polen in der Gegenwart. Polen ist ein Teil von Europa und seit der Wende in den Mittelpunkt des europթԹ)ischen Bewusstseins gerթԹԶckt und ist an seinem Platz angekommen. Polen ist mit der europթԹ)ischen und deutschen Geschichte tief verwurzelt. Die Grenze zwischen Deutschen und Polen ist flieթժԴender als manch einer sich vorstellen kann und sollte nicht in der Gegenwart als ProjektionsflթԹ)che fթԹԶr die Geschichtspolitik des dritten Reiches missbraucht werden.
Die dritte Ebene ist die Wirkung von Erika Steinbach auf mich, թԹԶber ihre Rolle in der CDU hinaus. Sie tritt in Deutschland in Erscheinung als die Sprecherin der Vertriebenen. Wenn ich den deutschen Historiker GթԹԳtz Aly zitieren darf, hat der Bund der deutschen Vertriebenen in den 1950er und 1960er Jahren Altnazis und MassenmթԹԳrdernթԹ en grosթԹ bezahlten Unterschlupf gewթԹ)hrt. Erika Steinbach ist die in den heutigen Grenzen von Polen geborene Tochter eines deutschen Besatzungssoldaten. Die polnische Tageszeitung Rzeczpospolita enthթԹԶllte, dass sie nicht aus einer alteingesessenen westpreuթժԴischen Familie stammt, sondern dass ihr Vater ein aus Hanau stammender und 1939 in WestpreuթժԴen stationiert Besatzungssoldat war; ihre Mutter wurde dorthin als Luftwaffenhelferin dienstverpflichtet.
Vertrieben zu sein tritt anders in Erscheinung, Besatzer zu sein anders.
Die deutschen Besatzer ermordeten Juden, wo sie auch immer hinkamen, davon zeugen die vielen Vernichtungslager und Hunderte kleiner und groթժԴer Konzentrationslager in ganz Polen. Nicht nur das Warschauer Ghetto, das Symbol der nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, in dem zeitweise eine halbe Million Juden auf engsten Raum zusammenlebten auf die թ§Չ-ժ❁EndlթԹԳsungթ§Չ-Չ§ wartend; oder soll ich es lieber den JթԹԶdischen Wohnbezirk in Warschau nennen, nach alter Rhetorik?
Die Einladung des ZAD und die damit demonstrierte NթԹ)he zur Frau Steinbach bringt fթԹԶr mich unweigerlich die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit mit sich. Wie beeinflusst dies das Erscheinungsbild des ZAD? Der ZAD reprթԹ)sentiert immer hin 12 armenische Vereine in Deutschland. Auf der politischen Ebene wird jeder Antrag, jede Aussage, jede Begegnung der Vereine mit dem թԹԳffentlichen Erscheinungsbild des ZAD gemessen.
Ende der siebziger Jahre machte ich eine Lehre in Frankfurt am Main. Mein Chef war ein ehemaliger Soldat der Wehrmacht. Er hat mich damals eingestellt, weil ich als Armenierin in Erscheinung getreten bin. Jedes Jahr versammelten sich bei ihm ehemaligen KampfgefթԹ)hrten, um in Erinnerung an die alten Tagen zu schwelgen, hinter verschlossenen TթԹԶren. Sie erzթԹ)hlten mir von Heldentaten und dem gemeinsamen Kampf, Schulter an Schultern in GrթԹ)ben zusammen mit Krimtataren, Ukrainern, Georgiern, Aserbaidschanern und Armeniern. Die alten Herren beschenkten mich mit Literatur des Dritten Reiches թԹԶber Armenier; der Band mit dem Titel թ§Չ-ժԷArmeniertum ist Ariertumթ§Չ-ժ ist einer meiner seltenen SchթԹ)tze aus dieser Zeit. Irgendwann verstand ich, warum ich eingestellt wurde; durch meine IdentitթԹ)t konnte und durfte ich den alten Soldaten der Wehrmacht ganz nah sein.
Die Hinterlassenschaften und das Erbe des Dritten Reiches zeugen und mahnen an die unrթԹԶhmlichen Zeiten der deutschen Vergangenheit, die auch unsere Geschichte geworden ist, mit der Migration unserer Eltern nach Deutschland und fթԹԶr viele in Deutschland geborene Armenier.
Diese NթԹ)he macht auch die Armenier angreifbar.
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Meiner Meinung nach ist Frau Erika Steinbach durch ihre Herkunft, ihre Rhetorik und ihren Auftritt eine Galionsfigur, ein Symbol der Opfergesellschaft, die nach dem II. Weltkrieg in Deutschland in Erscheinung getreten ist. Sie geht immer auf Distanz, wenn von Vertriebenen rechtsextremistische Gedanken geթԹ)uթժԴert werden. Das war bei der EUFV, der EuropթԹ)ischen Union der Vertriebenen, der Fall; vor ein paar Wochen bei den Jungen Schlesiern. Sie betont immer wieder, der Bund der Vertriebenen stehe dem Rechtsextremismus nicht nah. Dieser Diskurs macht mich trotzdem Nachdenklich. Hat sie nicht letztes Jahr die Kriegsschuldfrage relativiert? Diese Aussage bezahlte sie mit dem RթԹԶckzug aus der CDU-Spitze.
Die EUFV ist eine im politischen Spektrum rechts stehende Organisation. Der damalige Vorstand des ZAD war bei der GrթԹԶndung anwesend und hatte den Eintritt des ZAD in die EUFV befթԹԶrwortet. Dieser Schritt ist damals unterbunden worden. Die Einladung von Frau Steinbach fթԹԶr eine Gedenkrede ist eine Demonstration der politischen und sozialen NթԹ)he der Organisatoren zur Rednerin.
Vor Kurzem fragte ich einen Landes-Politiker, warum der rechte FlթԹԶgel der CDU sich fթԹԶr die Anerkennung des VթԹԳlkermordes an den Armeniern einsetzt. Die Antwort war ernթԹԶchternd. Er sagte, dass er damit zeigen wolle, dass die anderen VթԹԳlker auch Morde begangen haben. Hier geht es nicht um die Vernichtung und Vertreibung von 1,5 Millionen Armeniern. Hier geht es darum, zu sagen: Wir haben von anderen gelernt; TթԹԶrken haben es vorgemacht; wir haben nur wiederholt. Wenn die TթԹԶrken keine Armenier ermordet hթԹ)tten, hթԹ)tten wir keine Juden ermordet.
Die letzte Ebene meiner Empfindlichkeiten ist, dass sich aus meiner Sicht der ZAD und die 12 armenischen Vereine in Deutschland durch die NթԹ)he zur EUFV und zur Frau Steinbach angreifbar machen. Wie wird der Zentralrat der Armenier in Zukunft Stellung beziehen kթԹԳnnen angesichts von Millionen von Toten des Zweiten Weltkrieges, darunter 6 Millionen Juden, 3 Millionen sowjetischer Kriegsgefangener, Euthanasie-Opfer, die Verfolgten der gleichgeschlechtlichen Lebensweise, anders Denkende, Roma und Sinti…..? Die Liste ist lang.
Was ich persթԹԳnlich unbeschreiblich bթԹԳse finde, ist nicht die Einladung von Erika Steinbach, sondern die Instrumentalisierung eines Dritten.թԹ
hay-society.de
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